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Zukunft ungewiss. Flüchtlinge wie diese Ankömmlinge auf der griechischen Insel Kos sollen nach dem Plan der Europäer und der Türkei demnächst in die Türkei abgeschoben werden.

© REUTERS

EU-Gipfel: Geplanter Deal mit der Türkei lässt viele Fragen offen

Im Grundsatz wurden sich die Europäer und die Türkei beim EU-Gipfel einig, dass die illegale Einwanderung über die Ägäis gestoppt werden soll. Doch in der Praxis stellen sich viele Fragen.

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel: Beim Spitzentreffen mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutolglu in Brüssel gelang es den EU-Chefs lediglich, sich auf Eckpunkte für eine mögliche Lösung der Flüchtlingskrise zu einigen. Es konnte wohl auch kaum zu einem endgültigen Durchbruch kommen – denn die weit gehenden Vorschläge Davutoglus müssen jetzt erst einmal in den 28 EU-Hauptstädten verdaut werden. Beim nächsten EU-Gipfel am 17. und 18. März soll der Deal zwischen der EU und Ankara dann endgültig festgezurrt werden. Die geplante Vereinbarung soll Migranten künftig davon abhalten, sich an der türkischen Küste in die Hände von Schleppern zu begeben. Am noch sind viele Details offen.

Worum geht es im Kern bei der Vereinbarung?

Die Türkei schlägt vor, „alle neuen irregulären Migranten“ von den griechischen Inseln zurückzunehmen – also auch Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Dieser Abschreckungseffekt soll sie davon abhalten, Geld zu bezahlen und ihr Leben zu riskieren – da es ohnehin wieder zurückgeht. „Ein Boot zu besteigen“, heißt es in der Gipfelerklärung, „darf nicht gleichbedeutend sein mit der Ansiedlung in Europa“. Stattdessen sollen Flüchtlinge aus Syrien künftig die Möglichkeit haben, von der Türkei aus auf legalem Wege in die EU zu kommen. Dabei soll das Prinzip „eins zu eins“ gelten. Sprich: Für jeden syrischen Bootsflüchtling, der von Griechenland abgeschoben wird, soll ein Syrer aus der Türkei auf legalem Wege in den EU-Mitgliedstaaten angesiedelt werden.

Ist die Abschiebung der Flüchtlinge aus Griechenland überhaupt legal?

Wenn ein Flüchtling trotz Schutzbedürftigkeit aus der EU ausgewiesen wird, hat er seinen individuellen Asylanspruch verloren. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hält das dennoch für rechtlich sauber, da Griechenland die Türkei zum sicheren Drittstaat erklärt hat, wo das Asylverfahren für den betreffenden Flüchtling dann durchgeführt werden soll. Allerdings hat die Türkei 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention mit einem eher kuriosen geografischen Vorbehalt unterzeichnet und nur Europäer als potenziell Schutzbedürftige definiert. Aktuell 2,7 Millionen Syrer im Land sprechen eine andere Sprache, doch musste auch Juncker zugeben, dass noch „Modifikationen im türkischen und griechischen Recht“ vorgenommen werden müssten. Auch Kanzlerin Angela Merkel glaubt, „mit der Türkei eine rechtskräftige Position entwickeln zu können“. Die Grünen-Europaabgeordneten Franziska Keller wirft ihr dagegen vor, "international verbriefte Schutzrechte von Flüchtlingen zu brechen".

Wollen alle EU-Mitglieder zusätzliche syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen?

Nein. Ungarns Premierminister Viktor Orban will sich nicht an der Aufnahme syrischer Flüchtlinge beteiligen. Beim Gipfel setzte er durch, dass der Deal mit Ankara „den Mitgliedstaaten in Bezug auf Umsiedlung und Neuansiedlung keine neuen Verpflichtungen auferlegt“. Das heißt, dass es de facto erst einmal eine Obergrenze für das sogenannte Resettlement aus der Türkei gibt: 20000 Aufnahmeplätze dieser Art hatten die EU-Staaten die EU 2015 beschlossen, aber noch nicht zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen könnten 54000 Plätze aus dem EU-internen Verteilungsprogramm für 160000 Menschen von Ende September. Dieser Anteil war damals weder Griechenland noch Italien zugeordnet, sondern offen gelassen worden. Die freiwillige Aufnahme weiterer Kontingente, für die Kanzlerin Merkel seit Monaten an einer „Koalition der Willigen“ arbeitet, hat zumindest Eingang in die Erklärung aller 28 EU-Staaten gefunden. Fest steht allerdings, dass Großbritannien auch nach dem Brüsseler Gipfel keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen will. Die Regierung von Premierminister David Cameron hat sich im vergangenen Jahr bereit erklärt, in einem eigenen nationalen Programm 20 000 Flüchtlinge aus der Region rund um Syrien in den kommenden vier Jahren aufzunehmen. Über diese Zahl will London auch künftig nicht hinausgehen.

Was fordert Ankara politisch?

Davutoglu hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Kooperation in der Flüchtlingskrise für sein Land „ein strategisches Thema“ ist. Die Regierung in Ankara hat durch die Krise Verhandlungsmacht gewonnen – und fordert die Eröffnung von fünf weiteren Kapiteln in den EU-Betrittsverhandlungen. Der EU-Beitritt der Türkei steht Merkel zufolge derzeit „nicht auf Agenda“. Kaum einfacher dürfte es werden, wie versprochen bis Ende Juni allen Türken die Einreise in die EU ohne Visum zu gestatten. Erst in der vergangenen Woche hatte die EU-Kommission noch 72 offene Punkte in der Frage der Visa-Liberalisierung aufgelistet.

Was kostet der Deal mit der Türkei die EU?

Die Europäer haben beim Gipfel zugestimmt, alle Kosten für Abschiebungen in die Türkei zu übernehmen. Erst vor wenigen Wochen hat die EU drei Milliarden Euro für Flüchtlingsprojekte in der Türkei bis Ende 2017 bereit gestellt. Nun soll die Summe für das Jahr 2018 noch einmal verdoppelt werden. Italiens Regierungschef Matteo Renzi und einige Amtskollegen aus Osteuropa meldeten beim Gipfel ihre Bedenken gegen eine solche Aufstockung an. Doch der Streit ums Geld soll innerhalb der EU erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden.

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