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Milliarden für die Landwirtschaft. Der größte Anteil des EU-Haushalts wird für die Agrarförderung ausgegeben.

© dpa

EU-Haushalt: „Wir Europaabgeordneten gelten als Haushalts-Taliban“

In Brüssel droht Streit wegen des künftigen EU-Haushalts. Der EU-Haushaltsexperte Reimer Böge erklärt im Interview, warum das Europaparlament trotz der Kürzungswünsche von Nettozahlern wie Deutschland auf eine Erhöhung des Etats pocht - und stellt Bedingungen für eine Zustimmung auf.

Herr Böge, am heutigen Mittwoch sprechen Kanzlerin Merkel und Londons Regierungschef Cameron über den EU-Haushaltsrahmen für die Jahre 2014 bis 2020. Was erwarten Sie von dem Gespräch?

Die Situation ist etwas verkorkst, weil das britische Unterhaus von Cameron eine drastische Kürzung des EU-Haushalts fordert. Auch wenn Cameron nicht daran gebunden ist, muss man abwarten, welchen Spielraum er bei den EU-Haushaltsverhandlungen überhaupt noch hat. Ich warne aber davor, sich in der Debatte um den EU-Haushalt jetzt nur auf Cameron einzuschießen. Auch die schwedische und die niederländische Regierung wollen den EU-Haushalt erheblich kürzen.

Warum sollte der EU-Haushalt in Zeiten knapper Kassen nicht geringer ausfallen?

Es passt doch nicht zusammen, dass die EU-Mitgliedstaaten zwar einerseits beschließen, wo künftig die Prioritäten in der EU-Politik liegen sollen, aber andererseits die Mittel dafür nicht bereitstellen. Die Mitgliedstaaten sollen dann bitteschön auch klar benennen, welche Zielvorgaben sie nicht einhalten wollen. Ich denke da beispielsweise an das Vorhaben, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Wir geben im Schnitt derzeit nur 1,9 Prozent für diesen Bereich aus und liegen damit weit hinter einigen Wettbewerbern zurück. Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaaten ständig neue Aufgaben für die EU schaffen – etwa bei der Bankenaufsicht. Wenn es dann aber an die Finanzierung geht, dann leiden sie plötzlich unter Gedächtnisschwund.

Die Nettozahler argumentieren, dass der EU-Etat nicht wachsen kann, wenn auf nationaler Ebene der Rotstift angesetzt wird.

Aus der Sicht einiger Mitgliedstaaten gelten wir Europaabgeordneten ja sowieso schon als Haushalts-Taliban. Aber Spaß beiseite: Man darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Der EU-Haushalt ist in den letzten zehn Jahren weniger stark gestiegen, als das bei den nationalen Haushalten im Durchschnitt der Fall war. Gleichzeitig haben wir die Herausforderungen der EU-Erweiterung mitfinanziert.

Wo liegt für das Europaparlament bei den Etatverhandlungen die Schmerzgrenze?

Falls es nicht zu einer Einigung kommt, gelten die Obergrenzen des Haushaltsjahres 2013 so lange weiter, bis man eine Lösung hat. Darunter brauchen wir im Prinzip nicht zu gehen, weil wir die Mittel dann sowieso bekommen. In Zahlen ausgedrückt: Wenn der Haushalt auf dem Niveau von 2013 eingefroren wird, würde das für die kommende Finanzperiode von 2014 bis 2020 als maximale Obergrenze Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 1041 Milliarden Euro bedeuten …

… für Deutschland und andere Nettozahler mindestens 100 Milliarden Euro zu viel.

Ich verbinde die Aussage über die Finanzmittel, die uns vertraglich zustehen, mit einem Verhandlungspaket, das für die Abgeordneten in Brüssel von ganz entscheidender Bedeutung sind. Zum einen wollen wir eine viel größere Haushaltsflexibilität, damit wir Umschichtungen in dem siebenjährigen Rahmen vornehmen können, der bis jetzt in Beton gegossen ist. Zum anderen muss gesichert sein, dass aus dem geplanten Eurozonen-Etat kein Schattenhaushalt wird. Und schließlich muss in Zukunft ein großer Teil der EU-Einnahmen aus EU-weiten Steuern und Abgaben kommen statt wie bisher aus unfairen und intransparent berechneten Beiträgen der Mitgliedstaaten. Hier müssen die Mitgliedstaaten massiv auf das Europaparlament zugehen. Für einen Erfolg sind schließlich auch die Qualität der Ausgaben und der Abbau bürokratischer Hemmnisse entscheidend, wozu wir viele Vorschläge machen.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

Reimer Böge (60) ist Chef des Haushaltsausschusses des Europaparlaments, das dem kommenden EU-Etat zustimmen muss. Der CDU-Politiker ist seit 1989 EU-Abgeordneter.

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