zum Hauptinhalt
Unter Kontrolle. Russische Soldaten patrouillieren in der Nähe der Krim-Haupstadt Simferopol,

© AFP

EU-Hilfe für die Ukraine: Ex-Botschafter Reiter: Keine Rückkehr zum Recht des Stärkeren

Der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter, sieht durch die Ukraine-Krise das gesamte europäische Modell auf dem Prüfstand.

Herr Reiter, beim EU-Gipfel in Brüssel wird der politische Teil des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine unterschrieben. Ist es vernünftig, wenn die EU diesen Schritt unternimmt?
Der Schritt reicht nicht aus, aber er ist vernünftig. Die Unterzeichnung des Abkommens darf keine leere Geste bleiben, und deshalb muss schnell Wirtschaftshilfe folgen. Die EU muss bereits jetzt beginnen, eine langfristige Wirtschaftshilfe für die Ukraine auszuarbeiten. In der jetzigen Situation ist das Ziel, die Ukraine wirtschaftlich zu stärken, von allergrößter Bedeutung. Es liegt im europäischen Interesse: Wir können uns keinen gescheiterten Staat von dieser Größenordnung in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union leisten.

Janusz Reiter war von 1990 bis 1995 Botschafter Polens in Deutschland und ist Richard von Weizsäcker Fellow der Robert-Bosch-Stiftung.
Janusz Reiter war von 1990 bis 1995 Botschafter Polens in Deutschland und ist Richard von Weizsäcker Fellow der Robert-Bosch-Stiftung.

© dpa

In welchen Punkten ist die Ukraine am stärksten auf Hilfe angewiesen?
Kurzfristig ist eine Hilfe bei der Bedienung der ukrainischen Schulden entscheidend. Gleichzeitig muss man der Ukraine helfen, ihre Produkte auch zu exportieren. Bei der Ukraine handelt es sich um ein armes Land, das aber durchaus über Kapazitäten verfügt. Man muss der Ukraine beispielsweise helfen, Anschluss an den europäischen Energiebinnenmarkt zu finden. Das Land verfügt über große Stromüberschüsse und zum Teil moderne Wasserkraftwerke. Ein solches Potenzial könnte die Ukraine weiter entwickeln, wenn man ihr dabei hilft. Übrigens könnte auch Russland einen Beitrag zur Stärkung der Ukraine leisten, anstatt das Land zu destabilisieren.
Würde es eine Provokation für Russland bedeuten, wenn später auch der wirtschaftliche Teil des Assoziierungsabkommens unterschrieben wird?
Ich wüsste nicht, warum. Diese Frage kann man nur mit mit Ja beantworten, wenn man glaubt, dass eine wirtschaftlich gesunde Ukraine einen Affront für Russland darstellen sollte.
In seiner Rede am Dienstag hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine Hinwendung der Ukraine zur EU jedenfalls nicht begrüßt.
Ich glaube, die EU sollte in diesem Punkt genug Selbstvertrauen haben. Niemand wird doch behaupten können, dass die EU in irgendeiner Form expansionistisch sei. Und von Mitgliedschaft ist noch gar nicht die Rede.
Aber EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle hat gerade eine Vollmitgliedschaft ins Gespräch gebracht.
Langfristig kann ich mir durchaus eine Mitgliedschaft der Ukraine vorstellen. Aber leider ist die Kluft zwischen der heutigen Realität und dem langfristigen Ziel so groß wie nie zuvor. Wie gesagt: Jetzt kommt es zunächst darauf an zu verhindern, dass die Ukraine scheitert.

Besteht die Gefahr einer Spaltung der Ukraine, wenn auch der wirtschaftliche Teil des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Kiew demnächst unterzeichnet wird?
Die Gefahr einer Spaltung hat nichts zu tun mit einem Assoziierungsabkommen. Die Gefahr einer Spaltung – wenn es sie gibt – geht nicht auf die Europäische Union zurück.
Es hat im Osten der Ukraine Krawalle in Charkiw gegeben. Sind solche Ereignisse von außen gesteuert?
Die Ereignisse auf der Krim lassen keinen Zweifel daran. Da braucht man nicht viel zu spekulieren. Der entscheidende Punkt ist folgender: Eine wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine liegt im Interesse ganz Europas. Die Ukraine muss sich wirtschaftlich erholen. Was sich dort abspielt, ist eine Herausforderung für die europäischen Werte, aber auch für die europäischen Interessen. Da können wir nicht einfach passiv zuschauen.
Ihr Heimatland Polen gehört zu den Ländern, die sich für harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland einsetzen. Warum?
Polen hat das Gefühl, dass hier viel auf dem Spiel steht. Das gesamte europäische Modell wird herausgefordert. Wenn die Ukraine jetzt zu einem machtpolitischen Spielball wird, wird sich auch das gesamte europäische System sehr stark verändern. Wir werden an der Ostgrenze der EU eine harte Bruchlinie bekommen. Da darf man sich keine Illusionen machen. Wir haben es mit zwei völlig unterschiedlichen Visionen zu Europa zu tun: Einerseits das Modell des Zusammenschlusses und der Integration von gleichberechtigten Partnern, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in Westeuropa und später in Mittel- und Osteuropa entwickelt wurde. Das ist das berühmte europäische Friedensmodell. Und auf der anderen Seite eine Vision von Europa, in dem die Nationalstaaten dem freien Spiel der Kräfte überlassen sind und wo sich der Stärkere mehr als der Kleinere und Schwächere erlauben darf und wo auch militärischer Druck nicht ausgeschlossen ist. Das ist eine ganz fundamentale Frage. Es gibt in Europa keine zwei Länder, die von einer Infragestellung des europäischen Integrationsmodells mehr betroffen wären als Deutschland und Polen. Für uns hat mit diesem Modell die erfolgreichste, ja die glücklichste Phase unserer Geschichte begonnen. Ich möchte nicht, dass sie zu Ende geht. Eine Rückkehr zu einem Europa, in dem das Recht des Stärkeren herrscht, kann Polen nur schaden. Aber auch Deutschland hat da nichts zu gewinnen. Davon bin ich überzeugt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false