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Politik: EU-Kommissar Patten droht mit umfassenden Maßnahmen im Januar, wenn Moskau den Krieg fortsetzt

Chris Patten (55) ist seit diesem Sommer EU-Kommissar für Außenbeziehungen. Der katholische Konservative war unter Margaret Thatcher Umweltminister, organisierte 1992 erfolgreich John Majors Wahlkampf und war von 1992 bis 1997 letzter britischer Gouverneur von Hongkong bis zur Übergabe der Kronkolonie an China.

Chris Patten (55) ist seit diesem Sommer EU-Kommissar für Außenbeziehungen. Der katholische Konservative war unter Margaret Thatcher Umweltminister, organisierte 1992 erfolgreich John Majors Wahlkampf und war von 1992 bis 1997 letzter britischer Gouverneur von Hongkong bis zur Übergabe der Kronkolonie an China. Mit ihm sprach Christoph von Marschall über die Rückgabe Macaos an diesem Montag, die westliche Russlandpolitik im Zeichen des Kaukasus-Kriegs und die doppelte Herausforderung, vor der die EU in den nächsten Jahren steht: ihre Mitgliederzahl durch die Osterweiterung annähernd zu verdoppeln und zugleich effektiver zu werden.

Sie waren der letzte britische Gouverneur von Hongkong. An diesem Montag hat Portugal Macao an China übergeben. Wie beurteilen Sie die Lage in Hongkong?

Alles in allem bin ich zufrieden. Es gibt beunruhigende Entwicklungen, etwa in der Justiz: Der Volkskongress in Peking hat Entscheidungen des Obersten Gerichts verworfen. Hongkong hat aber eine freie, stabile und prosperierende Gesellschaft. Die Formel "Ein Land, zwei Systeme" funktioniert relativ gut.

Warum hat der Westen beim G-8-Treffen keine Sanktionen gegen Russland wegen Tschetschenien beschlossen?

Dafür ist die G-8 nicht das richtige Forum. Beim EU-Gipfel in Helsinki haben die Staats- und Regierungschefs klar gemacht, dass es kein "business as usual" mehr geben kann. Die Kommission hat dem Europäischen Parlament vorgeschlagen, die Mittel des Tacis-Programms für Russland einerseits zu reduzieren und andererseits umzuwidmen für humanitäre Hilfe im Nord-Kaukasus und für Aufbauhilfe nach dem Krieg. Zweitens haben wir angekündigt, die gemeinsame Strategie der EU gegenüber Russland zu überprüfen. Drittens wollen die Staats- und Regierungschefs Teile des Kooperationsabkommens suspendieren und die Handelsstreitigkeiten mit Moskau unnachgiebig durchfechten. Bisher war die EU da sehr entgegenkommend. Die Kommission muss im Januar Vorschläge machen.

Mitte Januar kommen Sanktionen, wenn Russland im Kaukasus weiter so vorgeht?

Ja. Wir berichten den Außenministern beim nächsten Treffen. Im Bezug auf das Tacis-Programm haben wir bereits gehandelt: Das Parlament hat unseren Kürzungsvorschlag angenommen. Andernfalls hätte es die Tacis-Mittel vermutlich komplett eingefroren. Wenn es allerdings bis Mitte Januar einen Waffenstillstand in Tschetschenien gibt, politischen Dialog und Zugang für humanitäre Hilfe, dann hätte das gewiss Einfluss auf die Entscheidung der Außenminister.

Außenminister Iwanow verspricht, der Krieg werde bald enden. Hat er den G-8-Kollegen genauer gesagt, wann?

Das müssen Sie Iwanow selbst fragen. Meine Sorge ist, dass Russland gar nicht weiß, wie es diesen Konflikt beenden kann. Die Erfahrungen überall auf der Welt zeigen, dass man diesen Kampf nicht mit militärischen Mitteln allein gewinnen kann. Wir erkennen an, dass es ein ernstes Terrorismus-Problem gibt. Moskau musste handeln. Aber was derzeit in Grosny geschieht, treibt die Bevölkerung in die Arme der Gegner Russlands. Moskau muss mehr Fantasie bei der politischen Lösung entwickeln. Sonst droht sich der Konflikt auszuweiten und die ganze Region zu destabilisieren. Wir haben bereits ein riesiges humanitäres Problem im Nord-Kaukasus und verlangen den Zugang für Hilfsorganisationen. Wie auch immer die Russen die politische Situation beurteilen - es gibt keine Entschuldigung, diese Hilfe nicht zuzulassen.

Wie erklären Sie die widersprüchliche russische Informationspolitik? Wird systematisch gelogen oder wird die russische Führung selbst nicht zuverlässig unterrichtet?

Wir dürfen annehmen, dass sie selbst nicht immer wissen, was tatsächlich passiert. Anfangs sagten sie, es gehe nur darum, einen Cordon sanitaire in Nordtschetschenien einzurichten. Dann, die Truppen würden keinesfalls den Terek-Fluss überschreiten. Dann, die Explosion auf dem Markt von Grosny sei nicht durch russischen Raketenbeschuss verursacht, sondern Folge illegaler tschetschenischer Waffenlager. Dann hieß es, Grosny werde auf keinen Fall angegriffen. Dann bestritten sie jede Bombardierung Grosnys. Und stets wurde behauptet, humanitäre Hilfe sei willkommen. All das erwies sich als unzutreffend, man kann sich nur wundern. Als jetzt westliche Medien von hohen russischen Verlusten in Grosny berichteten, wurde das erneut bestritten. Da kann sich jeder selbst fragen: Soll man den russischen Behörden glauben oder all den internationalen Zeitungen hier vor mir?

Steht der Westen vor einer neuen Konfrontation mit Russland?

Ich hoffe sehr, dass es nicht dazu kommt. Und ich glaube auch nicht, dass es eintritt. Am Ende dieses Jahrhunderts dürfen wir die Fehler nach Lenins Revolution nicht wiederholen, dürfen Europas Türen nicht vor Russland zuschlagen. Wir müssen weiter konstruktive Beziehungen aufbauen. Aber dafür muss Russland unsere Sorgen ernst nehmen und darf sich nicht damit begnügen, nur die eigenen Sorgen zu äußern.

Sie fordern, die EU müsse effektiver werden. Sie habe gutes Personal, aber miserable Mechanismen. Nennen Sie ein Beispiel?

Es geht mir um die komplizierten Prozeduren, die die Mitgliedstaaten der EU mit der Zeit aufgezwungen haben. Für die externen Kooperationsprogramme gibt es vierzig verschiedene Ausschreibungsverfahren. Das ist verrückt. Es wird mehr versprochen, als wir mit den derzeitigen Mitteln halten können. Wir brauchen mehr Managementressourcen. Und wir müssen schneller werden. Das schulden wir Europas Steuerzahlern.

Was ist der Schlüssel für mehr Effektivität?

Der Kern ist, zu begreifen: Ein Gipfelkommunique zu schreiben, ist der leichtere Teil. Taten sind entscheidend. Ein weiterer Schlüssel ist: mehr Unterstützung von den höchsten Regierungsstellen, um das Management und die Verfahren schlanker und schneller zu machen. Das aber heißt, die Mitgliedstaaten mit den Beschränkungen zu konfrontieren, die sie der EU im Laufe der Jahre auferlegt haben. Ich will mehr Transparenz. Ich will beweisen, dass sich Qualität und Tempo nicht ausschließen.

Die EU muss ihre Institutionen reformieren, ehe sie neue Mitglieder aufnimmt. Schafft sie das rechtzeitig, damit die Erweiterung 2003 beginnen kann?

Ja. Aber dazu brauchen wir den energischen Einsatz der Regierungen im kommenden Jahr. Heute spricht man so beiläufig von den beim Amsterdamer Gipfel übrig gebliebenen Aufgaben. Dieses Liegengebliebene ist das eigentlich Schwierige. Es erfordert mutige Entscheidungen. Diesmal muss eine komplette Lösung gelingen, damit wir nicht immer wieder zurückkehren zu diesen Verfassungsfragen.

EU-typisch ist nach aller Erfahrung, dass ein Gipfel nur das Allernötigste erledigt. Nun also, was unumgänglich ist, um die ersten Kandidaten aufzunehmen. Das müssten später 20 Mitglieder einen Kompromiss schließen, zu dem 15 nicht in der Lage waren.

Das wäre gefährlich, wenn Ihre pessimistische Annahme stimmt. Ich hoffe, dass die französische Präsidentschaft keine Überbleibsel bei der institutionellen Reform hinterlässt. Daran müssen wir arbeiten.

Was ist das Nahziel? Funktionsfähigkeit für eine EU mit 20, mit 25, mit 28 Mitgliedern?

Das Ziel muss sein, alle 13 Kandidaten aufnehmen zu können. Aber niemand macht sich vor, dass die Erweiterung um alle 13 rasch geschehen könnte. Ich würde gerne die ersten Neumitglieder während der Amtszeit dieser Kommission sehen. Manche werden länger brauchen, um beitrittsfähig zu werden. Niemand sollte die Herausforderung unterschätzen. Wir müssen einmal innehalten und überlegen, welche Größe der EU handhabbar ist. Wir brauchen eine öffentliche Debatte, wie weit Europa reicht.

Ist es denkbar, dass ein Land den Kandidatenstatus wieder verliert?

Theoretisch schon, wenn es in flagranter Weise die Kopenhagen-Kriterien verletzt. Doch ich glaube nicht, dass es dazu kommt.

Die EU gibt sich gerade eine militärische Komponente. Sie aber betonen die zivilen Aspekte der Sicherheitspolitik. Warum?

Weil das untrennbar zum Krisenmanagement gehört. Natürlich brauchen wir die Schnelle Eingreiftruppe von 60 000 Mann, die in Helsinki beschlossen wurde. Aber ebenso brauchen wir zum Beispiel rasch verfügbare Polizeieinheiten und müssen den Aufbau einer vergleichbaren Polizeitruppe zum Ziel erheben. Das gilt auch für Rettungskräfte. In Kosovo ist eines der größten Probleme, dass wir nicht genug Polizeikräfte haben.

Sie waren der letzte britische Gouverneur von Hong

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