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Zu viel Überwachung? Die Vorratsdatenspeicherung bewegt die Politik seit Jahren. Als Mittel gegen Terroristen eingeführt, ist ihre Wirksamkeit stark umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte ebenfalls Bedenken.

© Sascha Schuermann/ddp

EU-Kommission: Vorratsdatenspeicherung: Zurück auf Los

Die EU-Kommission stellt gravierende Mängel bei der Vorratsdatenspeicherung fest – und will nachbessern. Es gibt große Unterschiede bei der Umsetzung in den EU-Staaten.

Selten zuvor ist der Mehrwert einer europäischen Gesetzgebung so deutlich in Zweifel gezogen worden wie bei der Vorratsdatenspeicherung. So kommt die EU-Kommission in ihrem am Montag vorgestellten Bericht zu dem Schluss, dass die entsprechende Richtlinie aus dem Jahr 2006 nur „begrenzt“ zu einer Harmonisierung der Regeln beigetragen habe. Das Gesetz, unter dem Eindruck der Terroranschläge in Madrid und London verabschiedet, verpflichtet Telekommunikationsunternehmen, Verbindungsdaten im Festnetz-, Handy- oder Internetverkehr zwischen sechs Monaten und zwei Jahren aufzubewahren. Ermittlungen und Strafverfolgung bei „schweren Verbrechen“ sollen somit erleichtert werden. Die konkrete Umsetzung ist Sache der 27 Mitgliedstaaten. Das haben 25 von ihnen getan. In Österreich und Schweden befinden sich die Gesetze noch im parlamentarischen Prozess. Das gilt in gewisser Weise jedoch auch für Deutschland, Tschechien und Rumänien, wo die Verfassungsgerichte den ersten Umsetzungsversuch wegen Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte kippten.

Der Brüsseler Bericht gibt den Karlsruher Richtern insofern recht, als dass er bei der Umsetzung der Richtlinie weitgehende und teils willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre feststellt. So geht zwar kein Land über die maximale Speicherdauer von zwei Jahren hinaus, sonst aber herrscht Wildwuchs in allen Bereichen. So gestatten beispielsweise alle EU-Staaten der Polizei den Zugriff auf die gespeicherten Daten, in 14 Ländern haben auch die Geheimdienste Einsicht. In weiteren sechs gilt dies sogar für die Steuer- und Zollbehörden, in Estland, Finnland und Polen auch für den Grenzschutz.

Auch das Spektrum der anlasslosen Speicherung von Daten könnte unterschiedlicher kaum sein. Grund hierfür ist, dass der europäische Gesetzgeber den Begriff des „schweren Verbrechens“ nicht genauer definiert hat. Diesen vagen Wortlaut, der zu Rechtsunsicherheit führen kann, haben drei Staaten in ihre Gesetze übernommen. Zehn Länder nehmen ein bestimmtes Mindeststrafmaß, das auf das entsprechende Verbrechen steht, zur Richtschnur – wobei die Bandbreite von einem Jahr in Luxemburg und fünf Jahren Mindeststrafe in Irland reicht. Acht EU-Staaten, darunter Belgien, Dänemark und Frankreich, schießen jedoch weit über das Ziel der Richtlinie hinaus, indem sie die Vorratsdatenspeicherung für „alle kriminellen Vergehen oder aus allgemeinen Gründen der nationalen und öffentlichen Sicherheit verlangen“, wie es im Kommissionsbericht heißt.

Die Behörde der zuständigen EU-Kommissarin Cecilia Malmström kommt außerdem zum Schluss, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit jener über den Datenschutz im Internet, genannt e-Privacy, in einer „komplexen rechtlichen Beziehung“ steht. Im Klartext: Sie passen nicht zueinander. Die Verhältnismäßigkeit ist zumindest fraglich. All diese „gravierenden Mängel“, die die Schwedin Malmström der Öffentlichkeit vorstellte, haben sie veranlasst, eine Novellierung auf den Weg zu bringen. „Wir brauchen einen verhältnismäßigeren, einheitlicheren Ansatz für die gesamte EU. Deswegen ist es meine Absicht, die Richtlinie zu überprüfen und klar zu regeln, wer auf die Daten zugreifen darf, zu welchem Zweck und welche Verfahren dabei zu beachten sind“, so die Innenkommissarin am Montag.

Trotz der Einsicht, dass die Richtlinie von 2006 überarbeitungsbedürftig ist, droht die EU-Kommission aber weiter mit einem Vertragsverletzungsverfahren, sollte Deutschland diese nun als mangelhaft eingestuften Vorgaben nicht bald umsetzen. Der Widerspruch rührt von ihrer Bedeutung für die Fahnder her. Im Bericht ist von einem „wertvollen Werkzeug“ die Rede. Kommissarin Malmström gab an, nur dank der Richtlinie habe ein internationales Pädophilen- Netzwerk mit insgesamt 670 Verdächtigen gesprengt werden können.

Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro sieht dagegen „die Verhältnismäßigkeit der Richtlinie infrage“ gestellt, weil es zu „keiner nennenswerten Verbesserung der europäischen Aufklärungsquoten bei Kriminalfällen“ gekommen sei. Ähnlich argumentiert der Grüne Jan- Philipp Albrecht: Er fordert die Abschaffung der anlasslosen Eingriffe in die Privatsphäre. Unterstützung für deren Beibehaltung bekam Malmström vom CSU- Europaabgeordneten Manfred Weber: „Es ist klar, dass das Instrument an sich sinnvoll ist und beim Kampf gegen Schwerstkriminalität und Terror genutzt werden muss“, sagte der Vize der konservativen Europäischen Volkspartei.

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