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Politik: EU-Osterweiterung: Kleines Land mit großem Gewicht

Alle Mitglieder der EU ratifizieren das Abkommen, das im Dezember mit viel Mühe in Nizza ausgehandelt wurde, in ihren Parlamenten. Bis auf eines: Einzig Irland ist durch sein Verfassungsrecht gezwungen, das Volk zu befragen.

Alle Mitglieder der EU ratifizieren das Abkommen, das im Dezember mit viel Mühe in Nizza ausgehandelt wurde, in ihren Parlamenten. Bis auf eines: Einzig Irland ist durch sein Verfassungsrecht gezwungen, das Volk zu befragen. Die Wähler des zweitkleinsten EU-Landes (nach Luxemburg) sollen am 7. Juni darüber entscheiden, ob die Reformen, die eine Osterweiterung der EU erleichtern sollen, auch tatsächlich in Kraft treten können. Mit anderen Worten: Ausgerechnet jene, die am meisten von dem EU-Bestreben profitierten, das Wohlstandsgefälle innerhalb der Union einzuebnen, befinden nun darüber, ob auch andere in den Genuss dieser Freigebigkeit kommen sollen.

Die Ausgangslage der irischen Regierung ist dabei nicht beneidenswert: Irlands Gewicht im Ministerrat und im Europäischen Parlament schrumpft, der eigene EU-Kommissar steht zur Disposition, und die üppigen Nettotransfers aus der EU-Kasse versiegen. Letzteres hat zwar nicht das Geringste mit dem Vertrag von Nizza zu tun, aber das heute wohlhabende Irland blickt selbstbewusster nach Brüssel als einst das arme. Schwere Körperschaftssteuern und ein gigantisches staatliches Investitionsprogramm bergen künftigen Sprengstoff. Der Umstand, dass die EU im letzten Februar den ersten offiziellen Tadel für die Haushaltspolitik eines Eurolandes an die Adresse Irlands richtete, scheint im Nachhinein nicht eben glücklich - das angeblich inflationäre Budget rechnete immerhin mit einem Überschuss von 4,3 Prozent des Bruttosozialprodukts. Und obwohl die irische Staatskasse buchstäblich überläuft, darf die Regierung laut Gerichtsurteil nicht einseitig für die Annahme der Referendumsvorlage werben.

Das dürfen bloß Parteien und Interessengruppen, und die hüten ihre Reserven im Hinblick auf eine Parlamentswahl. Alle im Parlament vertretenen Parteien befürworten den Vertrag von Nizza, nur die Grünen, die nationalistische Sinn Fein und einige Parteilose sind dagegen - also knapp fünf Prozent der Abgeordneten. Doch der Widerstand gegen die bedingungslose Integrationspolitik wächst. Das bevorstehende Referendum ist schon die fünfte EU-Abstimmung. Beim letzten Mal ging es um das Papier von Amsterdam, und da legten schon 38 Prozent ein Nein in die Urne. Seither ist die EU näher an die Nato herangerückt, was für viele Iren ein rotes Tuch ist, vor allem wegen der nuklearen Dimension.

Martin Alioth

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