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Grenze zwischen Österreich und Italien.

© dpa

EU und die Flüchtlinge: Da hilft der beste Dolmetscher nicht

Die EU funktioniert nur, wenn es Kompromisse gibt. Das sollte auch Horst Seehofer wissen – statt Polizisten für den Brenner anzubieten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Im Europäischen Haus am Pariser Platz ist gebaut worden. Nun gibt es im Erdgeschoss einen großen Showroom. Da wird gezeigt, was die Europäische Union so alles macht. Vor allem von einem 360-Grad-Rundumkino sind nicht nur Schulklassen fasziniert, sondern auch die Grauköpfe unter den Berlin-Touristen. Hier wird die Arbeit des Europäischen Parlaments erklärt.

Am meisten fasziniert dabei die Tatsache, dass jeder der 751 Abgeordneten aus den 28 Mitgliedsstaaten in seiner Muttersprache reden darf und dass es für die allgemeine Verständigung Simultandolmetscher gibt. Wenn man es genau nimmt, sind diese Sprachmittler das Kerneuropa. Ohne sie wäre alles eine Kakophonie, allenfalls Sprachtalente wie Jean-Claude Juncker kämen ohne den Dienst klar.

Wenn aber kein politischer Wille zum Verstehen und zur Verständigung da ist, hilft auch der beste Dolmetscher nichts. Das sagen sie im Europäischen Haus natürlich nicht so deutlich, aber man kann es ahnen, weil sich der Film ausführlich damit beschäftigt, wie in den verschiedenen Ausschüssen des Parlaments versucht wird, Kompromisse zu erzielen. Aber auch das setzt voraus, dass sich beide Seiten oder alle 28 Staaten von ihren jeweiligen Maximalforderungen verabschieden.

Von außen lassen sich Ratschläge besonders gut erteilen

Stellt man sich also Verhandlungen etwa mit Recep Tayyip Erdogan über Menschenrechte oder mit Wladimir Putin über die Souveränität der Ukraine vor, zeigt sich schnell, dass auch der beste Dolmetscher nicht hilft, wenn es der Fähigkeit gebricht, den eigenen Standpunkt nicht länger absolut zu setzen. Nun könnte man einwenden, dass weder Russland noch die Türkei zur Europäischen Union gehören, dass das gewählte Beispiel also Quatsch sei. Das stimmt – und stimmt auch nicht. Die Politik Putins in der Ukraine löst in EU-Staaten wie Polen, Estland, Lettland oder Litauen, alles Länder, die früher zum sowjetischen Machtbereich gehörten, geradezu panische Reaktionen aus. Und ob Erdogan Hilfesuchende aus Syrien zur Weiterreise nach Griechenland ermuntert oder die Schlepper daran hindert, genau dies zu tun, hat die Kraft, die Europäische Union zu sprengen.

Auch die USA sind nicht Mitglied der EU. Aber was Washington und Moskau in Syrien militärisch und diplomatisch tun oder lassen, hat ganz unmittelbare Auswirkungen auf Europa, weil bei einem Waffenstillstand die Massenflucht von dort aufhört, bei Bombardierungen aber wieder zunimmt. Auswirkungen auf die USA hat es nicht. Das hindert die US-Administration nicht im geringsten, Deutschland und der EU moralisierende Lehren über ein angemessenes Verhalten im Hinblick darauf zu erteilen, welche Länder am Mittelmeer als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden dürfen. Da es kein Algerier, Tunesier, Marokkaner auf der Flucht bis nach Ellis Island schafft, lassen sich da Ratschläge besonders leicht erteilen.

Wenn jeder Staat nach dem St. Floriansprinzip agiert

Ob wir nun über die Türkei, Russland, Amerika, die Maghreb-Staaten oder den Mittleren Osten reden, ist in einem Punkt ziemlich egal: Was all diese Nationen tun oder lassen, berührt Europa ganz unmittelbar. Jahrzehntelang hat die EU geglaubt, sie könne sich von den Krisenherden dieser Welt abkoppeln und auf der tradierten und bewährten Erfolgsspur zu immer neuen ökonomischen und politischen Erfolgen schreiten. Das ist nun vorbei. Die globalen Krisen sind zu uns gekommen. Eine gemeinsame Politik zu entwickeln, sich zu einigen, wie man den Herausforderungen begegnet entscheidet über die Zukunft der Europäischen Union.

Wir sehen im Moment, was passiert, wenn es diesen Konsens nicht gibt, sondern jeder Staat versucht, sich nach dem St. Floriansprinzip an der Flüchtlingsproblematik vorbei zu mogeln. Mazedonien, das vor allem nur deshalb nicht Mitglied der EU ist, weil Griechenland ihm aus historischen Gründen die Verwendung des Staatsnamens verbieten will, schließt seine Grenze zu eben diesem Griechenland. Dort vegetieren die Flüchtlinge vor sich hin, der Rest Europas gibt Geld und gute Worte. Die mazedonische Blockade, ergänzt durch vergleichbare Maßnahmen in Ungarn und Österreich, reduziert auch die Flüchtlingszahlen in Deutschland, so lange Erdogan mitspielt. Tut er es nicht mehr, kommen die Flüchtlinge demnächst auch nach Italien oder Frankreich. Dann hilft Horst Seehofer am Brenner mit bayerischer Polizei aus. Da gab es lange keine deutschen Uniformen. Bald brauchen wir keine Dolmetscher mehr, sondern Betonbauer, weil wir auf Mauern setzen statt auf Worte. Es gibt sogar Leute, die das richtig toll fänden.

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