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Syrische Flüchtlinge an der Grenze ihres Landes zur Türkei

© Uygar Onder Simsek/AFP

Update

Flucht und Europa: EU will Weg nach Europa stärker blockieren

Trotz Versprechen, das Flüchtlingselend zu mildern: Der EU-Gipfel wird noch härtere Maßnahmen beschließen, Fluchtwege zu schließen. Das belegt die vorab bekannt gewordene Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs.

Es müssten "größere Anstrengungen unternommen werden, um den wachsenden Zustrom von illegaler Migration zu beschränken", heißt es in dem Gipfelerklärungsentwurf, den die Nichtregierungsorganisation "Statewatch" auf ihrer Website öffentlich gemacht hat und mit dem der Gipfel am Freitag zu Ende gehen soll. Der Start der "Eunavformed"-Mission, die die EU-Staaten in dieser Woche beschlossen haben, sei "dazu ein wichtiger Beitrag". heißt es in dem Text. Die Mission zielt darauf, die Schiffe und Boote von Schlepperorganisationen anzugreifen und möglichst zu zerstören. Da die EU dafür aber weder ein UN-Mandat hat noch die Zustimmung der libyschen Regierung, wurde am Montag dieser Woche lediglich die Beobachtung der Lage beschlossen.

Hilfe für den Süden - aber ohne Osteuropäer

Erstmals allerdings könnten sich die EU-Staaten darauf einigen, den am stärksten betroffenen Süden der Union wirksam zu entlasten. In den nächsten beiden Jahren sollen 40 000 Menschen, die in Italien und Griechenland gestrandet sind und dringend Schutz brauchen, in andere EU-Staaten gebracht werden, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung. Bis Ende Juli wollen die Staats- und Regierungschefs über das Wie und Wohin für diese Flüchtlinge entschieden haben. Das heißt, es würden für sie jene umstrittenen sogenannten Dublin-Regeln außer Kraft gesetzt, nach denen das Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling erstmals europäischen Boden betritt. Den Mitgliedsländern in Randlage verspricht der Gipfel zusätzliches Geld und fordert, dass alle EU-Staaten jene 20 000 Flüchtlinge aufnehmen, die "klar ein Anrecht auf internationalen Schutz haben".

Der Plan der EU-Kommission, die Flüchtlinge nach einem festen Schlüssel künftig auf alle Mitgliedsländer zu verteilen, wird wohl auf dem Gipfel beerdigt werden: "Das funktioniert nicht", zitierte die Agentur AFP einen hohen EU-Diplomaten. In den letzten Tagen hatten sich bereits mehrere EU-Länder der Aufnahme verweigert; Ungarn baut sogar an einem Grenzzaun gegen Flüchtlinge und erklärte, es werde keine abgeschobenen Flüchtlinge mehr aus Westeuropa aufnehmen. Außenminister Peter Szijjarto relativierte diese Aussage am Mittwoch. Die Bundesregierung hatte den ungarischen Botschafter in Berlin deswegen einbestellt. Schon auf den EU-Fachministertreffen der letzten Tage war klar geworden, dass etwa Großbritannien, Irland und Dänemark eine feste Quote nicht akzeptieren wollten. Auch die Visegrad-Gruppe - Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn - erklärte kurz vor dem Gipfel, das sei für sie "inakzeptabel". Osteuropa nimmt bereits jetzt kaum Flüchtlinge auf.

Freital und Seehofer gegen Flüchtlinge

Auch in Deutschland wurde unmittelbar vor dem Gipfel Stimmung gegen Migranten gemacht. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer warf ihnen Missbrauch des Asylrechts vor und kritisierte den Bundespräsidenten, der mit Blick auf die Vertreibungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg zu großzügigerer Aufnahme von Flüchtlingen gemahnt hatte. Heimatvertriebene hörten "solche Vergleiche nicht gerne", sagte Seehofer. "Die Ursachen sind andere, jetzt geht es auch um massenhaften Asylmissbrauch. Ich finde diese Diskussion nicht angezeigt." Die Opposition warf ihm "billigen Zynismus" vor (Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt) und nannte seine Äußerungen "zynisch und ätzend" (der Linken-Politiker Jan Korte). In Freital bei Dresden wird seit Tagen, teils gewalttätig, gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in einem früheren Hotel demonstriert.

Mehr Macht den Grenzschützern

Dem Appell zu einem "ausgewogenen und geografisch umfassenden Ansatz in der Migrationspolitik", den Europa brauche und der auf "Solidarität und Verantwortung" gründen müsse, folgt im Dokument denn auch vor allem auf die Auflistung von Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge. An den Grenzen der EU wollen die europäischen Regierungen mit Hilfe der Grenzschutzagentur Frontex, von Europol und Experten aus der ganzen Union Grenzposten einrichten, um eine möglichst lückenlose digitale Erfassung der Migranten sicherzustellen - Mängel des Grenzregimes wurde vor allem Italien und Griechenland von den EU-Regierungen immer wieder vorgeworfen. Frontex soll dafür eine stärkere Rolle erhalten. Außerdem bekräftigt das Dokument, dass "alle Mittel mobilisiert werden, um die Rückführung illegaler Migranten in ihre Herkunfts- und Transitländer zu befördern".

Teure "intelligente Grenzen"

Wie aus den Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, entwickelt sich die EU-Flüchtlingsabwehr dynamisch, auch unter maßgeblicher deutscher Beteiligung. Europas Satellitenzentrum im spanischen Torrejón, das EUSC, konnte seinen Ausstoß an Überwachungsergebnissen ("Analyseprodukte") zwischen 2009 und 2014 mehr als verdoppeln, Abnehmerin war in diesem Jahr erstmals auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit bisher vier Analysen. Frontex ist auch am Ausbau von "Copernicus" beteiligt, einem ursprünglich zivilen europäischen Erdbeobachtungsprogramm. Copernicus soll künftig in der Kontrolle von Grenzen und Schiffsverkehr eingesetzt werden und EU-Außeneinsätze unterstützen.

Der Aufbau der neuen Sicherheitskomponente von Copernicus verlaufe "planmäßig", schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage. Die Kosten für das europäische Datenrelaissystem zur schnelleren Übertragung großer Datenmengen EDRS stiegen demnach von 415 Millionen auf 473 Millionen Euro. Auf alle Fragen zur Einbindung nordafrikanischer Staaten in die EU-Grenzpolitik bleibt die Bundesregierung die Antworten schuldig. "Hierzu liegen der Bundesregierung keine Informationen vor", heißt es in der Antwort aus dem Auswärtigen Amt immer wieder.

"Satellitenaufklärung, Drohnen und Kriegsschiffe gegen Geflüchtete einzusetzen, ist menschenverachtend und geht am Kern des Problems komplett vorbei.", sagte der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko, der die Kleine Anfrage gestellt hatte, dem Tagesspiegel. Auch das Signal, das damit ausgesendet werde, sei "fatal und widerspricht einer solidarischen Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union".

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