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Mitten in Europa. Ansturm auf eine Lebensmittelverteilung in Griechenlands Hauptstadt Athen.

© AFP

Euro-Krise: 23 Prozent der Griechen sind arm

Forscher haben ermittelt, dass mehr als drei Viertel der Griechen bei Lebensmitteln und Heizkosten sparen. Die Armenküchen werden inzwischen auch von der Mittelschicht aufgesucht.

Athen - Neun von zehn griechische Privathaushalte haben seit Beginn der Krise 2010 Einkommenseinbußen erlitten, die sich im Schnitt auf 38 Prozent belaufen. Das geht aus einer Studie im Auftrag des griechischen Verbandes des Groß- und Einzelhandels hervor.

In vier von zehn Haushalten ist mindestens ein Mitglied arbeitslos – kein Wunder bei einer landesweiten Arbeitslosenquote von fast 27 Prozent – und Arbeitslosenhilfe wird höchstens ein Jahr lang gezahlt, danach gibt es nichts mehr. Unter den bis zu 24-Jährigen sind sogar sechs von zehn ohne Job. Die meisten von ihnen bekommen gar keine Unterstützung, weil sie nie gearbeitet haben. Entsprechend stark müssen sich die meisten Familien einschränken.

In der Umfrage des Marktforschungsinstituts Marc, die sich auf Interviews in 1207 repräsentativ ausgewählten Haushalten stützt, erklärten sieben von zehn Befragten, dass sie beim Lebensmitteleinkauf Abstriche machen. 83 Prozent sagten, dass sie bei den Heizkosten sparen – in vielen griechischen Mietshäusern werden in diesem Winter die Zentralheizungen gar nicht in Betrieb genommen, weil sich das Heizöl wegen drastischer Steuererhöhungen gegenüber dem Vorjahr um fast die Hälfte verteuert hat. Neun von zehn Familien geben weniger für Kleidung und Schuhe, Reisen und Geschenke aus. Ebenfalls 90 Prozent der Befragten erklärten, dass sie Besuche in Cafés, Tavernen und im Kino reduziert haben. Vier von zehn Haushalten sind mit der Zahlung ihrer Steuern, den Strom-, Wasser- und Gasrechnungen im Rückstand. Sogar 54 Prozent sagen, dass sie im kommenden Jahr wahrscheinlich ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können.

Nach Angaben der Statistikbehörde Elstat leben inzwischen 23 Prozent der Griechinnen und Griechen unter der Armutsschwelle. Wie groß die Not vieler Menschen ist, zeigte sich diese Woche, als in Athen Bauern Gemüse und Obst gratis an Bedürftige verteilten. Vor den Ständen am Athener Landwirtschaftsministerium lieferten sich etwa 5000 Menschen stundenlange Rangeleien, um ein paar Tomaten, Möhren oder Zwiebeln zu ergattern. Viele Menschen in Griechenland können sich nicht einmal mehr eine Mahlzeit leisten. Die orthodoxe Kirche Griechenlands versorgt in ihren Armenspeisungen pro Tag rund 250 000 Menschen.

Armut und Verzweiflung führen inzwischen zu dramatischen Szenen: Am Mittwoch kam es bei der Ausgabe kostenloser Lebensmittel in Athen zu Rangeleien, bei denen ein Mann niedergetrampelt und verletzt wurde. Als Tomaten und Porree, die Bauern vor dem Landwirtschaftsministerium verteilten, zur Neige gingen, stürmten Dutzende Griechen auf einen Lastwagen zu und stießen sich gegenseitig zur Seite. Die im Fernsehen übertragenen Szenen wurden über Parteigrenzen hinweg mit Bestürzung aufgenommen. Es mache ihn „wütend, dass ein stolzes Volk nicht mehr genug zu essen und zum Anziehen hat“, sagte Kostas Barkas, Abgeordneter der linken Partei Syriza.

Die Bauern hatten in weniger als zwei Stunden 50 Tonnen an Lebensmitteln an hunderte Menschen verteilt, die nach Jahren der Rezession nicht mehr alleine zurechtkommen. „Es ist wirklich schwierig. Ich habe mir nie vorstellen können, hier einmal zu landen“, sagte die 65-jährige Panagiota Petropoulos, die von 530 Euro Rente allein 300 Euro für Miete zahlen muss. Im Gegenzug für Milliarden-Hilfen von Europäischer Union (EU) und Internationalem Währungsfonds (IWF) hatte sich das Mittelmeer-Land zu drastischen Kürzungen bei Gehältern und Renten verpflichtet. Gerd Höhler (mit rtr)

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