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Eurokrise: Italiens Problem

Die Gerüchte über einen Rücktritt von Staatschef Silvio Berlusconi mehren sich. Gleichzeitig steigt der Druck aus Brüssel. Italien soll endlich konkrete Pläne liefern, wie es seinen Schuldenberg abbauen will.

Als die Wagenkolonne sich am Mittwochmittag schon bereit für die Abfahrt zum Flughafen machte, da hatte Silvio Berlusconi seine Hausaufgaben immer noch nicht fertig. Der vom Brüsseler EU-Gipfel ultimativ geforderte Brief mit den konkreten, weiteren Plänen Italiens zum Abbau des Schuldenbergs und zur Ankurbelung der Wirtschaft, er bedürfe „noch einer Überarbeitung“. So sagte es Berlusconis Staatssekretär Gianni Letta.

Der Druck aus Brüssel, insbesondere von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, hatte vor dem zweiten EU-Gipfel in Rom eine Betriebsamkeit und eine Endzeitstimmung ausgelöst wie noch nie. Es hieß gar, Berlusconi habe seinem Koalitionspartner, der Lega Nord unter Umberto Bossi, den Rücktritt zum Jahresende versprechen müssen. Anders sei Bossi nicht zu einem Ja zur erforderlichen Rentenreform zu bewegen gewesen, mit der das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre angehoben werden soll.

Doch diese Spekulation ist nicht neu: Seit Wochen schon bröckelt die Koalition an allen Ecken und Enden; die schwankende Mehrheit im Parlament reicht sowieso nicht für die großen, von der EU geforderten Reformen; außerdem steht für das Frühjahr eine Volksabstimmung gegen das von Berlusconi zu eigenen Gunsten entworfene Wahlrecht ins Haus. Da wäre es nur logisch, wenn der bedrängte Regierungschef sich vorher neu wählen lassen wollte.

In Brüssel musste Berlusconi – nachdem das Parlament bereits im September eine Haushaltskorrektur beschlossen hat, nach welcher der Etat bis 2013 ausgeglichen sein soll – vor allem klarstellen, wie die „Maßnahmen zum Schuldenabbau“ konkret aussehen sollen. Keiner in Italien kann bisher konkret sagen, welchen Umfang die Sanierungen tatsächlich haben: Die Angaben schwanken zwischen 90 und 145 Milliarden Euro. Zudem musste Berlusconi Maßnahmen präsentieren, mit denen Italiens Wirtschaft so auf Wachstumskurs gebracht werden kann, dass sie Geld zum tatsächlichen Abbau der Rekordverschuldung von 1,8 Billionen Euro einnimmt.

Liberalisierungen hat die EU verlangt, mehr Freiheit für Unternehmer (und weniger Schutz für Beschäftigte). Privatisieren soll der Staat – da ließen sich, so meint man, vor allem beim Verkauf der Erdölriesen Eni (Agip) und des Stromkonzerns Enel etliche Milliarden gewinnen. Trennen soll der Staat sich von seinem riesigen Grund- und Immobilienbesitz; sechs Milliarden Euro zum Beispiel gewönne der Fiskus, sagt der Bauernverband, wenn er staatliches Ackerland freigäbe.

Für womöglich schneller wirksame Maßnahmen mag die Regierung sich nicht begeistern: Berlusconi mit seinem Milliardenvermögen lehnt einen Zugriff auf die Reichen radikal ab – Ökonomen im Land sagen indes, allein mit einer wirksamen Vermögensteuer bekäme man die Verschuldung von aktuell 119 Prozent des Bruttoinlandsproduktes schlagartig auf knapp 100 Prozent und hätte damit fast alle Sorgen los.

Andererseits funktioniert Italiens Wirtschaft, unabhängig von der Regierung besser, als Vorurteile erwarten lassen. Die Exporte der drittgrößten Volkswirtschaft und der zweitgrößten Industrie in der EU haben in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres um 29 Prozent gegenüber 2010 zugelegt. Italien ist damit Spitzenreiter in Europa; Deutschlands Wachstum liegt drei Punkte zurück. Gerade im Hightech-Maschinenbau haben Italiens Ausfuhren schon fast wieder das Vorkrisenniveau von 2008 erreicht.

Und die Ausfuhren – die meisten gehen nach Deutschland – hängen vor allem an der Konjunktur der Empfängerländer; für diese kann Berlusconi nichts „Wachstumsförderndes“ versprechen. Anders sieht es mit der Nachfrage im Inland aus, die in der Tat bisher unaufhaltsam zurückgeht. Die im Zug der Haushaltssanierung beschlossenen Steuererhöhungen werden Kaufkraft und Kauflust noch weiter senken. „Ich verlasse mein Amt in einer konfusen und dramatischen Lage“, sagte der bisherige Chef der Nationalbank und neue Präsident der EZB, Mario Draghi, am Mittwoch in Rom. Andererseits sagte er, die zur Reform nötigen Beschlüsse seien gefällt, sie müssten nur umgesetzt werden.

Wahrscheinlich liegt das Problem des Landes tatsächlich nicht im finanziellen oder wirtschaftlichen Bereich, sondern im personellen. „Das Problem bist du. Du hast es nur nicht kapiert.“ So soll Finanzminister Giulio Tremonti seinen Regierungschef unlängst angeschnauzt haben. Doch Berlusconi hat am Mittwochnachmittag nur seinen Maßnahmen-Brief nach Brüssel geschickt. Seinen Rücktritt nicht.

Silvio Berlusconi (75) ist Ministerpräsident und der reichste Mann Italiens.

Er überstand während seiner Zeit als Regierungschef 51 Vertrauensabstimmungen im Kabinett.

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