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Politik: Europa = 27 plus x

Von Gerd Appenzeller

Was fällt den Deutschen bei Rumänien und Bulgarien ein? Dracula und Knoblauchtabletten, die Badeorte am Schwarzen Meer von Sonnenstrand bis Mamaia; Korruption, Kriminalität, das Grauen der Waisenhäuser. Das ist nicht eben viel und vor allem nicht so recht begeisternd für zwei Länder, die ab 1. Januar 2007 Mitglieder der Europäischen Union sein werden. Offiziell wird die Kommission in Brüssel erst morgen Ja sagen, und theoretisch kann sie den Beitrittstermin auch noch ein Jahr hinausschieben. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich, die Daten sind durch Beschlüsse und Konferenzen festgezurrt.

Auch wenn Frau Merkel jetzt sagt, nach Rumänien und Bulgarien gebe es auf absehbare Zeit keine neuen EU-Mitglieder – die Gespräche mit Kroatien und der Türkei gehen weiter. Dann gibt es noch Montenegro und Kosovo, und wer will bestreiten, dass Weißrussland und die Ukraine zu Europa gehören, ohne Zweifel doch weit mehr als die Türkei? In dem Verfassungsvertrag, der zwar in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde, der aber immer noch wie eine Art EU-Charta diskutiert wird, steht schließlich: „Die Union steht allen europäischen Staaten offen, die ihre Werte achten und sich verpflichten, sie gemeinsam zu fördern.“

Nun scheint den Bürgern Europas dieser Verfassungsvertrag herzlich egal zu sein. Franzosen und Niederländer haben ihn auch nicht abgelehnt, weil sie gegen die Verfassung sind, sondern weil ihnen dieses Europa zunehmend unheimlich wird. Vor allem das Tempo, in dem es sich vergrößert, die Regeln, nach denen die EU immer neue Länder aufnimmt, sind den Menschen suspekt. Niemand hat ihnen erklärt, dass sich die Europäische Union mit dem Zusammenbruch des Ostblocks völlig verwandelt hat. Das ist nicht mehr das gute, alte Europa, in dem sich alle irgendwie kannten, weil man schon von den Urlauben her wusste, wie der andere tickt, und in dem man deshalb auch von der politischen Union träumen konnte.

Nein, dieses neue Europa ist ein geopolitisches Instrument der Befriedung und der Absicherung wiedergewonnener, alter Souveränitäten geworden. Der amerikanische Denkansatz – die EU als Faktor der Stabilisierung – hat sich durchgesetzt, und in Brüssel hat man es noch nicht so richtig gemerkt. Die Faustformel ist ganz einfach: Wer der Nato beitritt, kann von niemandem bedroht werden und bedroht niemanden. Wer in die EU aufgenommen wird, partizipiert an einem gigantischen Entwicklungshilfeprojekt, an einer Art horizontalen Finanzausgleichs auf kontinentaler Ebene. Dass er funktioniert, ist im Interesse aller, gerade der Deutschen, die bislang von jeder Erweiterung am meisten profitiert haben, obwohl sie vorher am lautesten jammerten. Auch jetzt, im Falle Rumäniens und Bulgariens, ist es zuallererst die deutsche Wirtschaft, die sagt, dass sie das gut findet.

Funktionieren wird diese Umwandlung des Europagedankens freilich erst dann, wenn den Bürgern offen erklärt wird, was dahintersteckt und warum ihnen letztlich die bisherigen Erweiterungen Nutzen bringen, weil sie unsere Nachbarn berechenbarer machen. Um diese Transparenz zu erreichen, muss man aber die europäische Bürokratie und Diplomatie unter den Druck der demokratischen Institutionen setzen. Dazu, vor allem dazu brauchen wir so etwas wie eine EU-Verfassung. Fast alles an ihr ist ziemlich überflüssig, weil es in den Verfassungen der Mitgliedstaaten auch schon steht. Aber sie würde endlich transparentere Entscheidungsprozesse erlauben und den Bürgern das Gefühl nehmen, dass sie nur herumdirigiert werden und nichts zu sagen haben.

Dass einmal mehr aus diesem Europa erwächst als ein relativ lockeres demokratisches Bündnis mit gemeinsamen Wertvorstellungen, kann man wünschen. Die Zeichen dafür sind ja durchaus hoffnungsvoll. Aber das ist ein Generationenprojekt. Ob es eine Chance hat, hängt von den heute handelnden Personen ab. Dass die Jüngeren auf nationaler wie auf internationaler Ebene der Politik gegenüber so skeptisch sind, hat ja die gleichen Ursachen: Sie zweifeln an deren Bereitschaft, erkannte Missstände abzustellen.

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