zum Hauptinhalt

Politik: Europa-Debatte: "Das läuft in die falsche Richtung" - Karel Van Miert im Gespräch

Karel Van Miert (58) war von 1993 bis 1999 EU-Wettbewerbskommissar in Brüssel. Besonders in Deutschland ist der flämische Sozialist in Erinnerung geblieben: Van Miert unterband marktwidrige Staatsbeihilfen, machte den Autokauf im Ausland lukrativ und leitete das Ende der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung ein.

Karel Van Miert (58) war von 1993 bis 1999 EU-Wettbewerbskommissar in Brüssel. Besonders in Deutschland ist der flämische Sozialist in Erinnerung geblieben: Van Miert unterband marktwidrige Staatsbeihilfen, machte den Autokauf im Ausland lukrativ und leitete das Ende der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung ein.

Herr Van Miert, was halten Sie von dem Vorschlag des EU-Kommissars Verheugen, vor der Ost-Erweiterung der EU ein Referendum in Deutschland abzuhalten?

Das ist keine gute Idee. Nur wenn es vielleicht später einmal eine Ordnung in Europa gibt, die ein Referendum in Europa erlauben würde, könnte man sich eine Volksabstimmung vorstellen. Heute ist die Europäische Union nicht als föderaler Staat organisiert. Deshalb wäre es auch nicht angebracht, dass man in sämtlichen Mitgliedstaaten Referenden organisiert. Stellen Sie sich vor, in Luxemburg würde man auch eine Volksabstimmung über die Ost-Erweiterung abhalten, die negativ ausgehen würde. Oder was wäre, wenn es in Österreich eine Mehrheit gegen die Erweiterung gäbe?

Das wird Herr Verheugen auch bedacht haben. Warum hat der EU-Kommissar aber dennoch die Idee einer Volksabstimmung ins Spiel gebracht?

Ich habe nicht mit Herrn Verheugen darüber geredet. Natürlich ist es schon so, dass alle Beteiligten bei der Ost-Erweiterung ehrlich miteinander umgehen müssen. Nachdem Frankreichs Staatschef Chirac seinerzeit in Polen das Beitrittsdatum 2000 versprochen hat, setzte ein regelrechter Wettbewerb ein: Wer nennt das früheste Beitrittsdatum? Das ist natürlich nicht ernsthaft. Die Ost-Erweiterung muss schrittweise erfolgen. Die Probleme, die es in erheblichem Maße geben wird, müssen mit der Hilfe von Übergangsfristen im Rahmen der Beitritte gelöst werden. Die Ost-Erweiterung ist eine weitaus kompliziertere Sache, als man meistens denkt

Der deutsche Außenminister Fischer hat jetzt aber dennoch erstmals ein konkretes Datum genannt. Er hofft, dass eine erste Gruppe von Kandidaten - darunter Polen - bis 2005 den Beitritt schafft.

Ich hoffe, dass Fischer da Recht hat. Aber sicher bin ich nicht. Sie wissen ja, dass alle 15 EU-Mitglieder mit einer Erweiterung einverstanden sein müssen.

Sie haben als ehemaliger EU-Wettbewerbskommissar einen besonders guten Überblick über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Branchen in den 15 EU-Staaten. Wenn Sie nun in den unterschiedlichen Wirtschaftszweigen den Vergleich mit den Beitrittskandidaten anstellen - ist dann das Datum 2005 realistisch?

Für Ungarn könnte das schon zutreffen, für Polen wahrscheinlich auch, obwohl man sich hier weiter anstrengen muss. Vor fünf Jahren dachten wir noch, dass auch Tschechien gemeinsam mit Ungarn zu den ersten Beitrittskandidaten gehört. Das hat sich geändert, Tschechien ist in seinen Reformanstrengungen zurückgefallen. Man darf aber eines nicht vergessen: Auch über den Beitritt Spaniens hat die EG seinerzeit sieben Jahre verhandelt, und dann hat es jahrelange Übergangsfristen zur Anpassung an den europäischen Markt gegeben. Ich bin wirklich erstaunt, dass man diese Erfahrungen heute einfach vergisst. Wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, dass bei der Ost-Erweiterung nicht wirtschaftliche Fakten, sondern politische Kriterien im Vordergrund stehen, dann kommt Misstrauen auf. Die erweiterte EU könnte dann auch nicht unter Beweis stellen, dass die mit der Erweiterung verbundenen Probleme - darunter auch Einwanderungsfragen - unter Kontrolle sind. Ich kann nur hoffen, dass man politisch klug genug ist, nicht so zu handeln.

Noch einmal zum Wirbel um Verheugen: Will der EU-Kommissar mit seinem Vorstoß nicht auch politischen Spielraum gegenüber den EU-Mitgliedstaaten zurückgewinnen? Seit dem Amtsantritt des neuen EU-Kommissionschefs Romano Prodi hat die Brüsseler Kommission an Einfluss verloren.

Es stimmt, dass die Position der EU-Kommission erheblich geschwächt worden ist. Das hat mit vielen Dingen zu tun - natürlich auch mit der Art und Weise, wie Prodis Vorgänger-Kommission unter dem Luxemburger Jacques Santer ihre Arbeit beendet hat. Aber ich bin auch nicht so sicher, dass das Europaparlament der Sieger in der Auseinandersetzung mit der Santer-Kommission gewesen ist. Denn inzwischen haben die 15 Mitgliedstaaten die Misswirtschafts-Fälle in der alten Kommission zum Anlass genommen, ihre eigene Position zu stärken. "Harte" Ressorts wie beispielsweise die Handelsbeziehungen fallen zwar weiter in die Zuständigkeit der Kommission. In andere Fällen sind der Kommission aber Kompetenzen entzogen worden. Das gilt für die Außenpolitik, die jetzt der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier Solana für den Ministerrat betreut. Auch der Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, zu einer klaren Kompetenzaufteilung innerhalb des europäischen Gefüges zu kommen, geht in die gleiche Richtung. Das führt dazu, dass der Motor der Kommission immer schwächer wird. Kann man sich eine europäische Wettbewerbs- oder Handelspolitik vorstellen, die von den einzelnen Mitgliedstaaten gesteuert wird? Das gibt es nicht. Das würde innerhalb von einigen Monaten zusammenbrechen. Der ganze Prozess - auch bei der EU-Erweiterung - läuft in die falsche Richtung. Einerseits fehlt es an Ehrlichkeit gegenüber den Beitrittskandidaten. Anstatt die Europäische Union in die Lage zu versetzen, weiter erfolgreich zu funktionieren, wenn es zur Erweiterung kommt, macht man halt das Gegenteil.

Liegt das auch an Kommissionschef Prodi?

Herr Prodi steckt natürlich in einer schwierige Lage, weil die Mitgliedstaaten anscheinend nicht bereit sind, der Kommission die Instrumente an die Hand zu geben, um ihre Arbeit erfolgreich zu leisten. Am Ende geht es darum, dass man die Kommission völlig kaputtmacht.

Dem Kommissionschef wird insbesondere vorgeworfen, er verkaufe die Kommission in der Öffentlichkeit nicht richtig.

Bis jetzt ist das tatsächlich nicht gelungen. Das ist bedauerlich für manche Kommissionsmitglieder, die ihre Arbeit hervorragend machen.

Wen zählen Sie dazu?

Man kann meinen Nachfolger Mario Monti nennen, den Handelskommissar Pascal Lamy, auch Landwirtschaftskommissar Franz Fischler macht seine Arbeit tüchtig und gut weiter. Die meisten machen ihre Arbeit ausgezeichnet. Bis jetzt hat es Prodi nicht geschafft, die Kommission so zu stärken wie in den Zeiten des ehemaligen Kommissionschefs Jacques Delors. Damals redeten Kanzler und Premierminister mit dem Kommissionschef. Wenn aber die Kommission immer wieder kritisiert wird, wird es auch für Herrn Verheugen sehr schwierig sein, die Verhandlungen zur Ost-Erweiterung erfolgreich zu führen.

Das sind keine übermäßig optimistischen Aussichten.

Ich schließe nicht aus, dass es bald eine Krise gibt. Es bleiben nur noch wenige Monate, um mit einem neuen EU-Vertrag die Voraussetzungen für die Ost-Erweiterung zu schaffen. Wahrscheinlich wird das Ergebnis der Regierungskonferenz im Dezember minimalistisch sein. Es wird wohl nicht dem entsprechen, was eigentlich notwendig ist, um die Erweiterung durchzusetzen. Das Gleiche gilt ja schon für den Euro. Bei der Schaffung der Gemeinschaftswährung sind wir irgendwo in der Mitte stecken geblieben. Es braucht nicht nur eine Europäische Zentralbank, sondern auch eine politische Behörde, die sich im Namen von Euroland engagiert. Die Regierungen sind nicht bereit, diesen Schritt zu gehen. Das rächt sich.

Herr Van Miert[was halten Sie von dem Vorschlag d]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false