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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in dieser Woche beim CDU-Parteitag und im Bundestag zur EU-Flüchtlingspolitik gesprochen - und überzeugt. Zum Ende der Woche muss sie jetzt die EU-Partner gewinnen.

© Rainer Jensen/dpa

Europa-Gipfel zur Flüchtlingspolitik: Angela Merkel hat Häme zu erwarten

Beim Umgang mit Flüchtlingen ist Deutschland auf die Hilfe der EU-Staaten angewiesen. Die Bundeskanzlerin kann dabei nicht einfach führen wie gewohnt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Ein halbes Jahrzehnt lang spielte Angela Merkel auf europäischen Gipfelkonferenzen eine Rolle, um die sie sich nie gedrängt hatte, die dem Land, das sie repräsentiert, aber durch die Fakten aufgezwungen wurde – die Rolle der europäischen Führungsmacht. Deutschland, ökonomisch stärkstes und politisch stabilstes Land der Europäischen Union, musste in den Griechenlandkrisen die Richtung weisen wie auch diplomatisch als Verhandlungsführer im Ukraine-Konflikt. Vor allem da haben sie und ihr Außenminister vermutlich das Entstehen eines offenen Krieges verhindert. Nun aber ist die Kanzlerin an einen Punkt gekommen, an dem diese EU ihr in einer zentralen Frage, dem Umgang mit den Flüchtlingen, nicht mehr folgt. Sie ist aber darauf angewiesen, dass ihr möglichst viele Staaten bei der Lösung eines momentan vor allem deutschen Problems helfen.

Wird die Bundeskanzlerin die EU-Staaten zu Solidarität bewegen?

Gelingt es, wie bereits vor Monaten auf einem Gipfel beschlossen, 160.000 registrierte Flüchtlinge aus Mittelmeeranrainerstaaten auf die übrige EU zu verteilen? Das wird zur Nagelprobe, ob die deutsche Regierungschefin da scheitert, wo sie immer besondere Führungsqualitäten bewiesen hat: in Europa. Denn wenn Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei schon blockieren, wo es um vergleichsweise kleine Zahlen geht – wie will Angela Merkel dann verhindern, dass die gesamte Flüchtlingsproblematik ihr ganz persönlich als Ergebnis eigenen Versagens angeheftet wird?

Darauf läuft die Behauptung letztlich hinaus, die deutsche Kanzlerin habe erst durch ihren Entschluss Anfang September, die Grenze nach Österreich für Asylsuchende zu öffnen, die Massenflucht aus dem Nahen Osten ausgelöst. Herfried Münkler, einer der großen Historiker, deutet diesen Schritt völlig anders: Die Bundesregierung habe durch die Grenzöffnung verhindert, dass die Flüchtlingsströme zum Sprengsatz für die soziale und politische Ordnung „in den ohnehin fragilen und von inneren Konflikten bedrohten Balkanstaaten“ wurden. Viel spricht für die Richtigkeit dieser Sichtweise.

Osteuropa hat von Merkels Flüchtlingspolitik politisch profitiert

Dank kann Merkel am Donnerstag und Freitag dafür nicht erwarten, eher Häme aus Staaten, die gerne kassieren, aber nur ungern Lasten tragen. Als die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung vor einem Rückfall in nationalstaatliches Handeln warnte, hat sie unausgesprochen genau diese Länder gemeint.

Dass Merkel in Brüssel eine europäische Übereinstimmung in der Flüchtlingspolitik braucht, ist das eine große Thema. Genauso leidenschaftlich redet sie beim zweiten Gipfelthema über die Verantwortung Deutschlands: Großbritannien müsse in der EU bleiben, weil Europa ohne die Insel deutlich an weltpolitischem Gewicht verlöre. Auch umgedreht stimmt das. Ohne den europäischen Binnenmarkt, der auch David Cameron wichtiger als manche Forderung nach Reform der EU ist, wird England auf den Finanzplatz London reduziert. Die Konservativen wollen aber gerade an die unternehmerische Tradition dieses Kernlandes der industriellen Revolution anknüpfen.

Frankreich ist Deutschlands wichtigster Partner auf dem Kontinent. Im Verständnis einer modernen Wirtschaftspolitik sind sich Berlin und London jedoch viel näher. Ob der Parteitagserfolg von Karlsruhe Bestand hat oder der Merkel-Jubel nur für den Tag war, entscheidet sich nicht am möglichen Brexit, sondern an Europas Umgang mit den Flüchtlingen. Ende der Woche wissen wir es.

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