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Das Wahlprogramm steht - und ein Entwurf für ein weltoffenes Europa.

© dpa

Europa-Parteitag in Hamburg: Als ob die Linke erwachsen geworden ist

Die Linke hat auf einem Parteitag in Hamburg ein Wahlprogramm verabschiedet und ihre Kandidaten für das europäische Parlament benannt. Sie zeigte sich erstaunlich friedlich.

Von Matthias Meisner

Zuweilen geschehen in der Provinz revolutionäre Dinge. Jan Korte, ein junger Bundestagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, hat dafür ein Beispiel parat, als er auf dem Linken-Europa-Parteitag am Wochenende in Hamburg ans Rednerpult tritt. Von der Sanierung des Leninplatzes in der Gemeinde Könnern in seinem Wahlkreis berichtet er, und das gefördert aus Mitteln der Europäischen Union. Was in dem Städtchen sogar auf einem großen Schild für alle zu lesen war.

Mehr als nur "Gartenzwerg- oder Volksmusik-Linke"

Der Pragmatiker Korte verbindet die Unterrichtung über die Lenin-Subvention aus Brüsseler Etat mit dem dringenden Appell an seine Genossen, mit der EU nicht so feindselig umzugehen. Eine andere Tonalität fordert er, andere Vokabeln. Wer nur aus die Radikalität der Parole achte, mache aus der Linken eine „Gartenzwerg- oder Volksmusik-Linke“, warnt er. Korte will eine Rockmusik-Linke.

Man darf diese Wortmeldung durchaus als Replik auf Sahra Wagenknecht verstehen. Die Wortführerin des linken Parteiflügels hat kurz vor ihm gesprochen. Ziemlich missgelaunt ist sie nach Hamburg gereist. Verunsichert, ob die Reformer bei der Aufstellung der Kandidaten durchziehen werden. Sauer, weil sie den Kompromiss zum Wahlprogramm nicht gut findet. Aus ihrer Sicht haben sich die hessischen Genossen über den Tisch ziehen lassen, vom Berliner Landeschef Klaus Lederer und der EU-Fraktionschefin Gabi Zimmer. Sogar das Wort „Erpressungssituation“ wählt sie bei einem Vortreffen ihrer Anhänger am Freitagabend.

Überhaupt nur nach Gezerre hinter den Kulissen ist der stellvertretenden Vorsitzenden von Partei und Bundestagsfraktion ein gesetzter Vier-Minuten-Parteitag im Congress-Centrum zugebilligt worden. Wagenknecht nutzt ihn, um zwar einerseits den Vorwurf als „vollkommen absurd“ zu bezeichnen, dass es in der Linkspartei Anti-Europäer gebe. Und andererseits die EU als „Fassadendemokratie“ und „Lobbyistenklub von Banken und Konzernen“ abzukanzeln.

Die politische Spannbreite in der Linken ist also nach wie vor außerordentlich groß – die Europapolitik gibt dafür nur ein Beispiel. Aber festzuhalten bleibt, dass die Auseinandersetzungen nicht mehr zu Selbstzerfleischungsprozessen führen, wie sie bis 2012, unter der Führung von Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, an der Tagesordnung waren.

Am Ende stehen Kompromisse

In diesem Sinne verabschiedet der Parteitag ein Wahlprogramm, das wie ein gut sortierter Gemischtwarenladen für jeden Genossen und Anhänger etwas bietet. Scharfe Kritik an der EU, die „ihr Ziel, Frieden – auch sozialen – zu schaffen und zu erhalten, aus den Augen verloren“ habe. Und andererseits der Entwurf für ein Europa, „das sozialer, gerechter, ökologischer, feministischer, friedlicher und weltoffener“ sein soll. Parteichefin Katja Kipping twittert anschließend, der Kompromiss enthalte so viel EU-Kritik wie nötig, und so viele Reformideen wie möglich.

Gabi Zimmer, hier mit Parteichef Bernd Riexinger, wurde auf ersten Listenplatz gewählt und ist damit Spitzenkandidatin.
Gabi Zimmer, hier mit Parteichef Bernd Riexinger, wurde auf ersten Listenplatz gewählt und ist damit Spitzenkandidatin.

© dpa

In demselben Sinne einigt sich der Konvent auch auf eine Kandidatenliste für die Europawahl im Mai, die fast allen passt. Die recht blasse und rhetorisch ziemlich unbegabte Ex-PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer bekommt Platz eins. Den Ausschlag gibt, dass sie in Brüssel als fleißige Sacharbeiterin mit allerlei Fremdsprachentalent geschätzt wird. Aber die Kandidaten-Namen sind gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass später Wagenknecht vor Fernsehkameras von einer „ausgewogenen Liste“ spricht. Und die Ost-Reformer auch ganz zufrieden mit dem sind, was sie herausgeholt haben. Hamburg ist der erste Parteitag gewesen, bei dem die West-Landesverbände nicht mehr beim Delegiertenschlüssel bevorzugt werden, wie er 2007 beim Zusammenschluss von PDS und WASG eingeführt worden war.

Der Rest? Polit-Folklore, wie sie zur Linken eben gehört. Zum Beispiel der hessische Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke, ein gealterter Ex-Funktionär der DKP, der vor den Delegierten wettert, die Partei dürfe sich nicht von den anderen Parteien den Europa-Kurs vorschreiben lassen. Diese wollten nur eine „gezähmte und zahnlose“ Linke. „Wenn wir so werden sollen, wie Herr Gabriel es ist, dann pfeife ich auf die Regierungsteilhabe“, warnt Gehrcke.

Eine erwachsene Partei?

Oder auch Lucy Redler. Die Trotzkistin war mal eine Rebellin in der WASG, 2006 organisierte sie den konkurrierenden Antritt gegen die PDS bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl. Jahrelang wollte man sie deshalb bei der Linken nicht dabei haben, nun ist sie erstmals Delegierte auf einem Parteitag – für die radikalen Sektierer von der Antikapitalistischen Linken. Auch sie hält, am Rande befragt, fest: „Was mir gefällt, ist, dass sich die Partei von den Personalquerelen erholt hat.“ Was ihr nicht passt: dass die Frage der Regierungsbeteiligungen „schwelt“ und nicht „offen diskutiert“ wird.

Und natürlich Gysi. Der will über ein Regierungsbündnis im Bund nun gerade nicht diskutieren, weil sich doch, wie er begründet, die Frage „zur Zeit überhaupt nicht“ stelle. Und überhaupt: Die Linke sei „zu bedeutsam“, um sich in „Kleinkariertheit“ auf „bestimmte interne Auseinandersetzungen“ zu konzentrieren. „Es ist doch Quatsch“, mahnt der Fraktionsvorsitzende und stolze Bundestags-Oppositionsführer vor den 500 Delegierten. „Die PDS gibt es nicht mehr. Die WASG gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch Die Linke, und die sind wir alle. Punkt!“ Da klatschen alle.

Kipping sitzt am Sonntagmittag quietschvergnügt in der ersten Reihe. Es läuft gut für sie. Im Mai will sich die Dresdnerin auf dem nächsten Bundesparteitag in Berlin für eine weitere Amtszeit als Vorsitzende bestätigen lassen – ebenso wie ihr Ko-Chef Bernd Riexinger und der im Hintergrund sehr gewitzt agierende Parteimanager Matthias Höhn. Kipping bilanziert: „Alles in allem - als ob wir ’ne erwachsene Partei geworden sind.“

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