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Europäische Raketenabwehr: Entfacht Iran neues Wettrüsten?

Harsche Reaktionen auf die Ankündigung Irans, Uran industriell anzureichern, ließen nicht lange auf sich warten: Mehrere Unionspolitiker forderten prompt die Ausdehnung des US-Raketenschildes auf ganz Europa.

Berlin - Nachdem die iranische Führung angekündigt hat, waffenfähiges Uran durch den Einsatz von Zentrifugen jetzt auch industriell anreichern zu können, plädieren einige Unionspolitiker für eine neue Abwehrstrategie. Der CSU-Außenpolitiker Eduard Lintner forderte in der "Bild"-Zeitung: "Der US-(Raketen-)Abwehrschirm muss über ganz Europa ausgedehnt werden. Dabei müssen wir notfalls auch bereit sein, Raketen in Deutschland aufzustellen." Der außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion, Eckart von Klaeden (CDU), bezeichnete Iran als "derzeit größte Gefahr für den internationalen Frieden".

Gemeinsames Schutzschild

Mit "großer Sorge" reagierte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auf die Ankündigung Irans. Sie forderte Teheran dringend auf, den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach Aussetzung der Uran-Anreicherung zu entsprechen und so die Voraussetzungen für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch zu schaffen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), sagte der "Bild"-Zeitung: "Teheran hält unbeirrt an seinem Atomprogramm und an seiner Raketenrüstung fest." Deshalb gehöre die Frage einer gemeinsamen Abwehr auf die Tagesordnung der Nato. "Wir sollten ein Interesse haben, gemeinsam einen Schutzschild zu entwickeln."

Die USA wollen in Tschechien und Polen einen Raketenabwehrschild aufbauen und begründen dies mit der aus ihrer Sicht wachsenden Bedrohung durch iranische Raketen. Von Klaeden warb im RBB-Inforadio dafür, das nationale US-System vernünftig mit dem System der Nato zu verknüpfen. SPD-Chef Kurt Beck lehnt dagegen das Projekt ab, weil er dadurch die Gefahr eines Wettrüstens erhöht sieht.

Rhetorische Eskalation

Nach Worten des Union-Außenpolitikers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gehen von "Teherans nuklearen Ambitionen und seinem weit fortgeschrittenen Raketenprogramm künftige Gefahrenpotenziale für die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten aus". Notwendig seien eine schonungslose Neubewertung gegebener und etwaiger Sicherheitsrisiken und geeignete Schritte, um die Sicherheit Europas zu gewährleisten.

Der FDP-Politiker Werner Hoyer warnte dagegen vor "rhetorischer Eskalation". Gefragt seien Besonnenheit und Entschlossenheit. "Eine politische Lösung des Konfliktes um das iranische Atomprogramm bleibt trotz aller Provokationen alternativlos."

"Berechtigte Zweifel"

Ob die Ankündigungen Irans, bei der industriellen Atomanreicherung einen Durchbruch erringt zu haben, Bestand haben, wird von Experten in Zweifel gezogen. "Nach gesicherten Informationen verfügt Iran in Natans zurzeit lediglich über sechs Kaskaden" (knapp 1000 miteinander verbundene Gaszentrifugen), sagte ein europäischer Diplomat in Wien. Das wäre lediglich ein Drittel der ursprünglich von Teheran verkündeten 3000 Zentrifugen. Auch wie viele dieser Geräte tatsächlich bereits im Betrieb und voll funktionsfähig sind, ist fraglich. Aufschluss darüber soll die Inspektion durch Experten der Wiener Atombehörde IAEO geben, die in Teheran eintrafen.

"Man darf berechtigte Zweifel an den Meldungen (aus Teheran) haben", meint auch der Physiker Götz Neunberg vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Technisch sei der Sprung von den bisher bestätigten zwei bis vier Kaskaden auf die am Sonntag genannten 18 Kaskaden "ganz enorm". "So wie wir es sehen, hat der Präsident (Ahmadinedschad) die Gelegenheit des von ihm selbst geschaffenen nationalen Atomtags genutzt, um wieder einmal auf sich aufmerksam zu machen." Auch der Sprecher des russischen Außenministeriums, Michail Kamynin, betonte am Dienstag, Moskau sei "von einem technologischen Durchbruch (bei der iranischen Urananreicherung) nichts bekannt". (tso/dpa/AFP)

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