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© AFP

Europaparlament: EU-Kommission kann Arbeit aufnehmen

Das Europaparlament hat der Ernennung einer neuen EU-Kommission zugestimmt. Die Abgeordneten billigten eine Liste von 26 Kommissionsmitgliedern, die vom bereits amtierenden Präsidenten Barroso geführt werden. Zu den neuen Kommissaren gehört auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger.

Die beiden Blaulichtlimousinen mit Stuttgarter Nummernschild bleiben den ganzen Tag vor dem Haupteingang des Straßburger Europaparlaments stehen. Der Passagier, den sie am Morgen hier abgesetzt haben, wagt an diesem Tag den Schritt von Baden-Württemberg nach Europa. Mehr Aufmerksamkeit bei den Besuchern erregt freilich der lange Maibach daneben. Die Kameras werden herausgeholt, ein paar Witze gemacht. Es passt ja doch irgendwie ins Klischee, dass die Edelkarosse zwar aus dem Musterländle stammt, aber ein rumänisches Kennzeichen trägt. Über dem europäischen Fuhrpark wehen im klirrend kalten Wind die 28 Fahnen – einen für jeden Mitgliedstaat der Union und die europäische selbst.

Günther Oettinger, der nur noch bis Mitternacht als baden-württembergischer Ministerpräsident amtiert, kommt als Letzter, eilt in den europablauen Plenarsaal und nimmt im Kreise der künftigen Kollegen von der EU-Kommission Platz. Er sitzt neben Kristalina Georgieva, ausgerechnet der Nachrückerin aus Bulgarien, die die bei den Parlamentsanhörungen gestrauchelte Landsfrau Rumiana Jeleva ersetzt hat. Es ist neun Uhr morgens, als der polnische Parlamentspräsident vor einem noch halb leeren Plenarsaal die Sitzung eröffnet, „am Beginn einer neuen Ära für Europa“, wie Jerzy Busek sagt.

Die Tagesordnung ist nicht lang, aber Europa wäre wohl nicht Europa, wenn es mit einem kurzen Handheben getan wäre. Vor der Wahl der neuen europäischen Regierung am frühen Nachmittag steht ein nicht ganz einfach zu durchschauendes Prozedere. Kommissionschef Jose Manuel Barroso stellt seine Mannschaft vor: „Mein Team spiegelt die Vielfalt, die Europa ausmacht.“ Anschließend wird zwei Stunden debattiert. Hier tut sich vor allem Daniel Cohn-Bendit hervor, der Fraktionschef der Grünen: „Die Summe von vielen Nullen ist nicht Plus. Aber das ist die Mathematik von Herrn Barroso.“ Tatsächlich äußern sich Abgeordnete aller Fraktionen zumindest kritisch über das Personaltableau.

Echte Gefahr jedoch droht der neuen Kommission nicht. Dafür sorgt ein im Vorfeld ausgehandelter Kompromiss. Ganz im Sinne des deutschen Fraktionschefs der Sozialdemokraten, Martin Schulz, der sagt: „Europa ist der permanente Kompromiss“, was es „oft schwerfällig und schwer verständlich“ mache. Und dieser schwer verständliche Kompromiss sieht vor, dass die Parlamentarier eine Resolution zur künftigen Zusammenarbeit zwischen Kommission und Europaparlament verabschieden, zu der sich Barroso dann öffentlich im Parlament bekennen muss.

Erst einmal ist jedoch Pause.

Der deutsche Kommissarsanwärter nutzt die Gelegenheit zum Telefonieren, schlendert mit dem Handy in der Hand symbolträchtig unter der großen Europafahne im Plenum umher. Wieder am Platz plaudert er kurz mit der Dänin Connie Hedegard, mit der auch in Zukunft wohl am meisten wird reden müssen, weil sie für Klimaschutz und er für Energie zuständig ist. Barrosos Kabinettschef Johannes Laitenberger, ein Deutscher, gesellt sich hinzu. Er dürfte zumindest am Anfang Oettingers wichtigster Kontakt in der Kommission werden, zumal er im Gespräch erfährt, dass Laitenbergers Mutter aus Markgröningen stammt – Oettingers Wahlkreis.

Dann wird wieder geredet. Barroso bekennt sich zur Zusammenarbeit mit dem Parlament. Diese sei angesichts der großen Krise alternativlos. „Wir müssen unseren Bürgern jetzt zeigen, dass wir für sie arbeiten.“ Der Chef der Konservativen, der Elsässer Joseph Daul, sagt, die Europäer seien „so schwer von der Krise getroffen, dass sich der Pessimismus immer weiter ausbreite. Der Sozialdemokrat Schulz verlangt von Barroso fast im Gleichklang eine soziale Agenda: „Entweder Europa ist ein soziales Europa, oder es scheitert.“ Sein liberaler Kollege, der Belgier Guy Verhofstadt sieht „entscheidende fünf Jahre“ auf die Europäer zukommen. Und Barroso kündigt dann noch an, die Europäer auf dem globalen Parkett „aus unserer unbedeutenden Rolle“ herausholen zu wollen. Gegen Ende des Meinungsaustausches darf der britische EU-Gegner Nigel Farage noch sagen, dass diese 27 neben ihm sitzenden Kandidaten für die Kommission „künftig totale uneingeschränkte Macht besitzen – so wie früher die Kommunisten in Osteuropa“.

Um 14.08 Uhr schließlich ist es so weit. Die Daumen der Fraktionschefs Daul, Verhofstadt und Schulz gehen nach oben, was ihren Hinterleuten signalisiert mit Ja zu stimmen. Der Daumen von Cohn-Bendit und der des Linken-Fraktionschefs Lothar Bisky gehen nach unten. Sekunden später leuchtet das Ergebnis auf der Anzeigetafel auf: nur 173 Nein-Stimmen und 72 Enthaltungen; mit 488 Mal Ja ist Europas neue Regierung im Amt bestätigt.

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