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Politik: Europas Linke: Der Schröder-Effekt - Warum der Alltagspragmatismus in Deutschland ein gutes Programm ist

Vor zwei Jahren war die Sache klar: Es fehlt ein deutscher Tony Blair. Alle machten sich auf die Suche nach dem Blair-Effekt.

Vor zwei Jahren war die Sache klar: Es fehlt ein deutscher Tony Blair. Alle machten sich auf die Suche nach dem Blair-Effekt. Blair wurde zu einer Art Wundermann stilisiert, der hatte, was Schröder fehlte. Charisma natürlich, und vor allem eine politische Botschaft: die Vision einer neuen Moral, jenseits von Neoliberalismus und sozialstaatlicher Rundumversorgung. Zum Beispiel: hart gegen jugendliche Straftäter plus Geld für Bildung. Blair entwarf die Idee eines Gemeinwesens, in dem es auf das Individuum ankommen sollte. Schröder entwarf - nichts. Er wollte bloß Kanzler werden. Und ein bisschen reformieren.

Noch etwas hatte Blair Schröder voraus. Blair hatte die Labour-Partei umorganisiert und faktisch entmachtet, Schröder die SPD nicht. Das würde ihn, so hieß es 1998, irgendwann die Macht kosten, wie einst Helmut Schmidt. Oder zumindest alle Politik mit Bleigewichten beschweren.

Heute sieht die Sache anders aus: Blair in der Krise, Schröder unumstritten. Warum? Gewiss spielt Glück eine Rolle: Kohls Spendenaffäre half, auch der für Schröder unverhoffte Abgang von Lafontaine. Aber es ist mehr. Kann es sein, dass gerade in Schröders Durchwursteln, in seinem Alltagspragmatischen, in der Abwesenheit von Visionen das politisch Vernünftige steckt?

Was die Partei angeht: ja. Blair hat Labour zu einer Applauskulisse für seine Starauftritte degradiert. Was vor zwei Jahren vielen als entscheidender machtpolitischer Vorteil erscheint, rächt sich nun. Anstelle der Rückkoppelung mit der Partei debattieren "Spindoctor"-Runden ohne Bodenhaftung.

Schröder hingegen hat Lafontaines Abgang nicht ausgenutzt, um die SPD zum bloßen Kanzler-Wahlverein zu machen. Schröder wurde SPD-Chef, und entwickelt ein Sensorium dafür, was die Partei will. Gewiss kam ihm zugute, dass die SPD-Linke nach Lafontaine nur noch ein Schatten ist, weil sie in den Kernfragen, Renten und Steuer, keine schlüssigen Alternativen hat. Aber das System Schröder ist eben nicht Durchmarsch, tabula rasa, sondern moderieren. So wurde Klimmt, der damals als Vertreter Lafontaines auf Erden galt, zum Minister. Schröders Konzept ist einfach: nicht gegen, mit der Partei (die es ihm allerdings leicht macht) und überraschend wenig autokratisch.

Dieser politische Stil spiegelt die Erkenntnis, dass der sozialpolitische Umbau nicht gegen den bundesdeutschen Korporatismus durchsetzbar ist, sondern nur mit ihm. Schröder hat das nicht nur akzeptiert, er macht es zur Methode: Dafür war auch das mühsame, oft als uneffektiv und als überflüssig gescholtene Bündnis für Arbeit so wichtig.

Reform mit Rückbindung, das ist die Praxis. Eine Theorie dazu fehlt. Einmal hat Schröder versucht, diese Lücke zu füllen. Es war einer seiner wenigen Fehlschläge: das neoliberale Schröder/Blair-Papier.

Stefan Reinecke

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