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Europas neue Spitze: Gesichter eines Kontinents

Die Personalentscheidungen auf dem Brüsseler Gipfel machen deutlich, wie sich Europas Staats- und Regierungschefs das Personal an der Spitze der EU vorstellen: Geschmeidig, effizient und möglichst lautlos. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, dass die EU Männer und Frauen an ihre Spitze beruft, deren Wort in der Welt gehört wird.

Man reibt sich verwundert die Augen. Der Belgier Herman Van Rompuy und die Britin Catherine Ashton – sie bilden Europas neues Spitzenduo. Es gibt wahrscheinlich außerhalb der kundigen Brüsseler Zirkel nur wenige, die mit den beiden Namen etwas anfangen können. Es hat schon eine besondere Ironie: Ausgerechnet zwei Politiker, die dem Publikum weitgehend unbekannt sind, sollen der Europäischen Union nun ein Gesicht verleihen. Der neue EU-Ratspräsident Van Rompuy und die künftige „EU-Außenministerin“ Catherine Ashton haben den Segen der europäischen Staats- und Regierungschefs bekommen. Die Autorität, die sich mit ihren Ämtern verbindet, werden sie sich allerdings erst noch erarbeiten müssen. Denn sie treten ihre Posten unter einem schlechten Vorzeichen an: Sie sind der kleinste gemeinsame Nenner im europäischen Posten-Poker.

Es ist kein Zufall, dass sich der EU-Gipfel bei der Besetzung der neuen europäischen Spitzenämter ausgerechnet auf zwei Politiker geeinigt hat, die in der Europapolitik noch wenig von sich reden machten. Gefangen im Parteien- und Geschlechterproporz, bemüht um den Ausgleich zwischen großen und kleinen EU-Staaten, fanden Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, Gordon Brown und die übrigen europäischen Staatenlenker eine Lösung, die niemandem weh tut, vor allem ihnen selbst nicht. Sie sind die wahren Entscheider in der EU – und wollen es auch bleiben.

So haben sie mit Bedacht zwei Führungsfiguren ausgesucht, die von Brüssel aus wohl kaum den Konflikt mit den EU-Hauptstädten suchen werden. Der belgische Ministerpräsident Van Rompuy hat sich zwar zu Recht im eigenen Land den Ruf eines effizienten Kompromisseschmieds erworben. Es ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass er demnächst den Staats- und Regierungschefs die Brüsseler Agenda bei den Gipfeltreffen vorschreiben kann.

Auch darf bezweifelt werden, dass die EU-Außenpolitik, die ein geeinteres Auftreten dringend nötig hat, ausgerechnet mit der Britin Catherine Ashton an der Spitze zu einem Höhenflug ansetzen kann. Schließlich waren die lautesten Vorbehalte gegen eine Stärkung der EU-Außenpolitik während der langen Entstehungsgeschichte des Lissabon-Vertrages aus London gekommen. Immerhin kann man der Labour-Politikerin Ashton zugute halten, dass sie sich in London unter widrigen Umständen für die EU-Reform eingesetzt hat.

Die Personalentscheidungen auf dem Brüsseler Gipfel machen deutlich, wie sich Europas Staats- und Regierungschefs das Personal an der Spitze der EU vorstellen: Geschmeidig, effizient und möglichst lautlos. Ein Vollblut-Europäer vom Schlage des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker, der Merkel auch schon mal wegen der hohen Staatsschulden rüffelte, passte da nicht ins Bild. Juncker wäre eine geradezu ideale Wahl gewesen – als durchsetzungsfähiger Kenner des europäischen Räderwerks, der obendrein auch noch eines der kleinen Länder vertritt.

So aber verspielt die EU die Chance, die sich ihr mit dem Lissabon-Vertrag bietet. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit gewesen, dass die EU mit ihren rund 500 Millionen Einwohnern Männer und Frauen an ihre Spitze beruft, deren Wort in der Welt gehört wird und die auch im Inneren neues Vertrauen zwischen dem Brüsseler Betrieb und den Bürgern aufbauen können. Aber so weit ist Europa offenkundig noch nicht.

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