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Europawahl: Desinteresse in Polen

Nach einem konturlosen Wahlkampf bleiben am Tag der Europawahl viele im Nachbarland Polen lieber zu Hause statt an die Urnen zu gehen.

Die Kirchenglocken haben schon lange das Ende des Gottesdienstes in der Sankt-Anna-Kirche verkündet. „Nach der Messe werden die Leute kommen“, hatte der Wahlhelfer zuvor verhalten hoffnungsvoll erklärt. Tatsächlich spazieren schließlich kleine Gruppen von Kirchgängern in Richtung Gemeindeverwaltung in Wilanow, einem Stadtteil von Warschau. Der Andrang an der Urne hält sich allerdings sehr in Grenzen und nach wenigen Minuten herrscht wieder gähnende Leere im Wahllokal.

Auch bei diesen Europawahlen scheint sich wieder zu bestätigen, dass die Polen kein Volk von EU-Enthusiasten sind. Die Wahlbeteiligung lag 2004 bei knapp 20 Prozent, dieses Mal dürften es nicht wesentlich mehr gewesen sein. Grund dafür ist unter anderem der katastrophale Kenntnisstand in Sachen Europa. Wie eine Umfrage ergab, weiß nur die Hälfte der rund 30 Millionen Wahlberechtigten in Polen, dass die Abgeordneten des Europaparlaments in allgemeinen Wahlen direkt vom Volk bestimmt werden. Aufklärungsarbeit täte not, doch die 1300 polnischen Kandidaten für die 50 freien Plätze im Straßburger Parlament haben wenig getan, um den Bürgern den Sinn der EU nahezubringen.

Lange dümpelte der Wahlkampf ziel- und konturlos dahin. Erst in den vergangenen Tagen, als das national-konservative Lager um Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski in Meinungsumfragen immer deutlicher hinter die Bürgerpartei von Premier Donald Tusk zurückfiel, begann ein aggressiver Kampf um die Stimmen. Allerdings fiel Kaczynski in dieser Situation nur ein, seine politischen Gegner zu diskreditieren und Ängste zu schüren.

Vorlage für seine verbalen Tiefschläge war eine Broschüre von CDU/CSU zur Europawahl. Darin steht, dass mithilfe der EU „das Recht auf die Heimat auch der deutschen Vertriebenen“ verwirklicht werde. Für den Politiker bestand kein Zweifel: Deutschland stelle das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und damit auch die deutsch-polnische Grenze infrage. Das bot Kaczynski die Gelegenheit, sich als Retter der Souveränität Polens darzustellen. Doch bis zuletzt zeigte sich in den Umfragen, dass die Parolen Kaczynskis nicht mehr verfangen. Den Polen ist Europa nach vier, fünf Jahren EU-Zugehörigkeit offensichtlich zur Normalität geworden. So normal, dass die überwiegende Mehrheit der Wähler auch gestern zu Hause geblieben ist.

Knut Krohn[Warschau]

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