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Causa Wulff. Muss der 53-Jährige sich vor Gericht verantworten?

© dpa

Ex-Bundespräsident Christian Wulff vor Gericht: Ein historisches Verfahren

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik soll sich ein ehemaliger Präsident vor Gericht verantworten. Der Rücktrittsgrund ist nicht mehr dabei.

79 Seiten umfasst die Anklageschrift, beigefügt sind sieben Aktenordner; die Ermittler benennen 25 Zeugen. Damit will die Staatsanwaltschaft Hannover dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff nachweisen, dass er korrupt gewesen sei. Der konkrete Vorwurf: Wulff habe sich in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident vom Filmunternehmer David Groenewold 2008 auf dem Münchner Oktoberfest aushalten lassen und habe diesem im Gegenzug einen dicken Gefallen getan. Am Freitag ist die Anklage gegen Wulff wegen Bestechlichkeit, gegen Groenewold wegen Bestechung und zusätzlich wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung beim Landgericht Hannover eingegangen.

Es ist das Überbleibsel aus einer ganzen Reihe von Vorwürfen. Rund 20 Komplexe haben vier Staatsanwälte und zwei Dutzend Kriminalbeamte mehr als ein Jahr lang unter die Lupe genommen – vom verbilligten Hauskredit bis hin zum geschenkten Bobby-Car für Wulffs Sohn. Die Ermittlungen verliefen mehr oder weniger schnell im Sande – entweder, weil an den Vorwürfen nichts dran war, sie nicht nachgewiesen werden konnten oder sie zumindest keine strafrechtliche Relevanz hatten.

Sogar den „Sylt-Komplex“ musste die Staatsanwaltschaft zu den Akten legen. Groenewold soll Wulff 2007 den Aufenthalt in einem Luxus-Hotel auf der Nordsee-Insel finanziert haben – als Gegenleistung für eine Bürgschaftszusage des Landes. Vor allem wegen dieses Vorwurfs hatte die Ermittlungsbehörde am 16. Februar 2012 die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten beantragt, am nächsten Tag trat Wulff zurück. Jetzt stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren in diesem Punkt „mangels hinreichenden Tatverdachts“ ein. Die Version Wulffs, er habe dem Filmunternehmer die Kosten später bar erstattet, konnte „nicht mit ausreichender Gewissheit widerlegt werden“.

Die Verteidiger erwarten dies nun auch für die Vorgänge rund um das Oktoberfest 2008. „Herr Wulff hat sich nichts zu Schulden kommen lassen“, betonen die Anwälte Bernd Müssig und Michael Nagel. Der damalige Ministerpräsident soll sich für eine großzügige Bewirtung bei Groenewold erkenntlich gezeigt haben. Detailliert listet die Staatsanwaltschaft die zur Rede stehenden Summen zum angeblichen Vorteil Wulffs auf: 510 Euro für Hotelübernachtung und Babysitter, 209,40 Euro für ein Abendessen. Außerdem seien die Eheleute Wulff mit weiteren Personen Gast an Groenewolds Tisch in einem Oktoberfestzelt gewesen. Die Gesamtzeche dafür habe 3209 Euro betragen. Diese Einladungen hatten für die Ermittler ein eindeutiges Ziel: „Es erscheint als hinreichend wahrscheinlich, dass dies in der Absicht geschah, den Angeschuldigten Wulff zu motivieren, sich in seiner dienstlichen Eigenschaft als Ministerpräsident gegenüber der Siemens AG für eine Unterstützung bei der Vermarktung des Films ‚John Rabe‘ einzusetzen“, erklärt die Staatsanwaltschaft. Schon am nächsten Tag habe Groenewold Wulff konkret darum gebeten, der Ministerpräsident habe dann im Dezember 2008 tatsächlich einen Bittbrief an Konzern-Chef Peter Löscher geschrieben.

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