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© dpa

Experte zur US-Wahl: "Amerika kann stolz sein"

Barack Obama hat die US-Präsidentschaftswahlen mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Ein historischer Moment, sagt der US-Experte und ehemalige Botschafter Wolfgang Ischinger. Doch Obama steht auch vor gewaltigen Herausforderungen. Welche das sind und was der Wahlausgang für Europa bedeutet, erklärt er im Interview mit tagesspiegel.de.

Herr Ischinger, der neue Präsident der USA steht fest. Barack Obama hat gewonnen. Hat Sie der Wahlausgang überrascht?

Überrascht hat es mich überhaupt nicht, aber beeindruckt bin ich schon. Der Wahlsieg ist doch sehr deutlich ausgefallen, und damit kann Obama auch mit einer Mehrheit im Kongress einen wirklichen Neuanfang packen.

Sind Sie zufrieden mit dem Wahlausgang?

Ich persönlich bin sehr zufrieden. Obama hat auch in Europa so viel Positives, ja sogar Euphorie ausgelöst, dass auch die Chancen auf einen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen groß sind.

Wie haben Sie die Wahlnacht verbracht?

Ab 1 Uhr morgens hing ich einerseits am Telefon, andererseits am Fernsehschirm, und zappte zwischen mehreren amerikanischen Stationen, zwischendurch warf ich immer wieder einen Blick auf diverse Internet-Websites. Um fünf Uhr morgens bin ich dann zum ZDF-Morgenmagazin gefahren. Es war eine relativ schlaflose Nacht.

Diese Fernsehbilder und die Berichte transportieren ja gerade eine unglaubliche Aufbruchsstimmung. Alle jubeln, es gibt kaum eine kritische Stimme. Was bedeutet dieser Tag für die USA?

Für die USA ist es ein historischer Moment. Noch vor vierzig Jahren mussten Schwarze in den anderen Bus einsteigen. Jetzt ist ein Kapitel abgeschlossen, das sich über Hunderte von Jahren erstreckt hat, und das mit den Gesetzgebungsakten in den sechziger Jahren zwar einen weiteren Schritt nach vorne gemacht hat.

Aber?

Auch noch in den letzten Tagen vor der Wahl war die Befürchtung groß, dass so mancher Amerikaner womöglich doch wegen der Hautfarbe seine Stimme einem afroamerikanischen Kandidaten verweigern würde. Diese Befürchtungen haben sich nun als nicht mehr zeitgemäß erwiesen. Amerika kann auf sich in diesem Punkt wirklich stolz sein.

Die Deutschen können diese Aufbruchsstimmung vielleicht nicht so ganz nachvollziehen.

Man stelle sich mal vor, es tritt ein deutscher Kanzlerkandidat auf und schlägt dem Wahlvolk vor, dass jetzt alles anders werden muss. Ich weiß nicht, wieviel Prozent der Deutschen das akzeptieren würden. Das ist fast revolutionär. Ich kann das nur vergleichen mit der Stimmung, als damals Willy Brandt Bundeskanzler wurde. Ich nenne das meinen Willy-Brandt-Moment. Jetzt spüre ich bei vielen jungen Amerikanern einen solchen Obama-Moment.

Die Analysten sind sich da ja nicht so einig: War es ein Triumph der Minderheiten oder war es eher ein Sieg der Mittelschicht. Wer hat Ihrer Meinung nach Obama zum Sieg getragen?

Letztlich war es George W. Bush, der dem demokratischen Kandidaten zum Wahlsieg verholfen hat. Die Politik der letzten Jahre hat doch bei einem großen Teil der amerikanischen Bevölkerung keine Zustimmung gefunden. Deswegen war die Bereitschaft auch so stark, das Signal vom Wandel zu akzeptieren.

Sie sagen es ja auch: Change, der Wechsel, der Aufbruch, das war Obamas Botschaft. Was wird sich denn jetzt als erstes ändern?

Zunächt einmal die Tonlage. Wir warten jetzt alle gespannt darauf, was für ein Kabinett der neue Präsident um sich scharen wird. Ich selbst habe die leise Hoffnung, dass er in sein künftiges Team auch einen Republikaner aufnehmen wird. Um die Hand auszustrecken zu einer großen parteiübergreifenden Anstrengung. Und die wird angesichts der riesigen Probleme, vor denen der neue Präsident steht, nötig sein.

Könnte das jemand wie Colin Powell sein?

Ja, oder jemand wie der republikanische Senator Chuck Hagel, mit dem Obama vor einigen Wochen eine gemeinsame Reise in die Krisengebiete unternommen hat.

Wen würden Sie sich als Außenminister wünschen?

Ich würde mir jemanden wünschen, dem es gelingt, die traditionellen Werte des Westen, die Verlässlichkeit, die Bekräftigung der Würde des Einzelnen, auch der hohen moralischen Ansprüche, zu verkörpern. Ich kann mir durchaus jemanden wie Colin Powell vorstellen, aber es gibt auch noch eine Reihe von anderen Persönlichkeiten, die diese Bedingung erfüllen.

Die Rede von John McCain, in der er seine Niederlage eingestanden hat, hat viele beeindruckt.

Das ist der typische amerikanische Stil, das hat mich gar nicht überrascht. Es gehört zum politischen Umgang in den USA, dass man dem Gegner nach einem durchaus schmutzigen Wahlkampf die Hand reicht und die Zusammenarbeit anbietet. Senator McCain hat das in wirklich anständiger und überzeugender Weise gemacht. Dafür verdient er Anerkennung. Ich bin überhaupt der Meinung, dass John McCain angesichts der großen Obama-Hysterie zu wenig positiv gesehen wurde. Von ihm wären durchaus auch eigene politische Impulse zu erwarten gewesen. Wir werden von ihm bestimmt in der Zukunft auch noch hören.

Welche Bedeutung hat der Sieg Obamas für die Menschen in Afrika?

Das ist eine ganz große Chance. Stellen Sie sich doch einmal vor, was das für Hunderte Millionen von Afrikanern bedeutet, dass an der Spitze der weitaus stärksten Macht der Welt jemand steht, dessen Erbe auch ein afrikanisches ist. Der Stolz, den die schwarze Bevölkerung in den USA jetzt zu Recht hat, wird sich indirekt auch in Afrika ausbreiten. Es besteht die Möglichkeit, dass die Afrikaner in Amerika jetzt tatsächlich den großen Bruder sehen, mit dem man diesen leidgeprüften und von Krisen geschüttelten Kontinent in den nächsten Jahren nach vorn bringen kann. Und es geht dabei auch nicht nur ums Geld, sondern auch um ein Bewusstsein und die Solidarität, die sich Staaten und Nationen gegenseitig geben können.

Und wie sieht das für die arabischen Länder aus?

Auch da sehe ich durchaus die Möglichkeit eines transatlantisch gut abgestimmten Neuanfangs bei der Bewältigung der Probleme im Nahen und Mittleren Osten. Das neue Gesicht, der neue Mann im Weißen Haus ist für sich genommen schon eine Chance für eine neue Wahrnehmungen in vielen Teilen der Welt. Auf der anderen Seite sollten wir gerade auch bei solchen politischen Fragen wie Nahost oder dem Irak vor Illusionen warnen.

Inwiefern?

Jeder Präsident - und im übrigen auch der amerikanische Kongress - wird sich sorgfältig an den amerikanischen Interessen orientieren. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass in Washington jemand zu dem Ergebnis kommen könnte, den amerikanischen Interessen wäre damit gedient, dass sie jetzt holterdiepolter aus dem Irak abziehen. Das wird so sicher nicht geschehen. Auch in anderen Bereichen kann man nur vor der Vorstellung warnen, dass Amerika jetzt genauso denkt, wie wir hier in Europa denken. Amerika ist nicht Europa. Es hat seine eigenen Interessen.

Es heißt ja immer, dass mit einem Präsident Obama eher mehr Forderungen auf Deutschland und Europa zukommen werden, gerade was das Engagement in der Außenpolitik angeht.

Wir sollten aber nicht gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange starren und uns vor möglichen amerikanischen Forderungen fürchten. Obama wird vor unglaublich großen Schwierigkeiten stehen - innenpolitisch, was die Wirtschaftslage angeht, haushaltspolitisch, was die Finanzlage betrifft und außenpolitisch, was die zwei Konflikte im Irak und in Afghanistan angehen, ebenso wie die vielen ungelösten Fragen im Nahen Osten und im Verhältnis zu Russland. In dieser Lage wäre es ganz falsch, wenn Europa sagt, jetzt haben wir vor allem Angst davor, noch mehr gefordert zu werden.

Welche Reaktion würden Sie sich wünschen?

Die richtige Reaktion wäre, dass Europa sich jetzt als proaktiver Partner anbietet: bei der Bewältigung der Finanzkrise, bei der Neulegitimierung der internationalen Institutionen, wie beispielsweise der G 8. Jetzt ist der Punkt gekommen, wo wir den USA in einer offensichtlich schwierigen Lage eine Partnerschaft anbieten können und natürlich daran auch traditionelle Erwartungen koppeln können. Etwa, dass man jetzt unverzüglich eine gemeinsame Anstrengung unternimmt, um das Geschehen im Nahen Osten wieder zu einem wirklichen Friedensprozess werden zu lassen. Das ist ja in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr vom Fleck gekommen.

Stichwort Finanzkrise: Das ist wohl momentan die größte Herausforderungen für den neuen Präsidenten. Trauen Sie Obama zu, dass er dafür die richtigen Rezepte hat?

Was die Finanzkrise angeht, ist es besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass der bisherige Präsident noch bis zum 20. Januar im Amt ist. Jetzt handeln wird also erst einmal noch George W. Bush. Obama wird sich hüten, voreilig selbst Verantwortung übernehmen zu wollen. Aber wenn er dann im Januar ins Amt kommt, wird er ein elementares Interesse daran haben, sich besonders eng transatlantisch abzustimmen.

Wie könnte eine solche Abstimmung zwischen Europa und den USA aussehen?

Wir brauchen eigentlich einen transatlantischen Pakt, der sich weiterhin für möglichst viel Freihandel einsetzt. Wir müssen ja alle fürchten, dass es angesichts der weltweiten Rezessionsängste eher zu protektionistischen Neigungen kommen wird, übrigens auch in den USA selbst. Hier gegenzuhalten und sich weiterhin für Freihandel einzusetzen ist natürlich ein besonders intensiver Wunsch gerade der Deutschen, die wir wie kaum ein anderes Land als große Exportnation vom freien Welthandel abhängig sind.

Barack Obama wird das Präsidentenamt erst am 20. Januar antreten. Was macht er eigentlich bis dahin?

Jetzt wird ein Übergangsteam gebildet, das sehr kurzfristig Entscheidungen, beispielsweise über die Schlüsselpositionen des künftigen Kabinetts ausarbeiten und bekannt geben wird. Außerdem werden in dieser Übergangszeit Sachpositionen - von der Gesundheitspolitik bis zur Außenpolitik - ausgearbeitet. Das ist eine Gestaltungsphase. Und in dieser Phase müssen wir jede Chance nutzen, auf dieses Übergangsteam zuzugehen und unseren Rat und unsere Zusammenarbeit anzubieten.

Obama wird jetzt also nicht erst mal Urlaub machen.

Ganz bestimmt nicht. Das ist so ähnlich wie beim Fußball: Nach der Wahl ist vor der Regierungsübernahme. Jetzt geht es erst richtig los. Jetzt muss schnell umgeschaltet werden: von einer Wahlkampfmaschine zu einer nach völlig anderen Prinzipien arbeitenden Regierungsmaschinerie.

Wie lange wird es dann dauern, bis tatsächlich Entscheidungen getroffen werden können, oder bis man etwas von dem Wandel merken wird?

Grundsätzlich wird der neue Präsident seine Politik erst in seiner Inaugurationsrede am 20. Januar vorstellen. Bis dahin wird es vertrauliche Kontakte mit seinem Team geben. Aber wir werden bis dahin warten müssen - auch aus Respekt gegenüber dem bisherigen Amtsinhaber.

Wird Obama ein langweiliger Präsident werden?

Nein, ganz bestimmt nicht. Der glanzvolle Wahlsieg mit einer doch so guten demokratischen Mehrheit wird den Appetit wachsen lassen. Wir können zumindest darauf hoffen, dass Präsident Obama ein Präsident der Begeisterung, der Jugend und des Aufbruchs wird, und hoffentlich auch ein Präsident der Bekräftigung der transatlantischen Beziehungen.


Wolfgang Ischinger, Jahrgang 1946, war von 2001 bis 2006 deutscher Botschafter in den USA. Heute ist er bei der Allianz für Regierungsbeziehungen zuständig. Außerdem leitet er die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik.

Interview von Sylvia Vogt

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