zum Hauptinhalt

Politik: Expo 2000: Die Weltausstellung hat nicht zu wenig Besucher, sondern eine falsche Kalkulation (Kommentar)

Lieben die Deutschen Märchen? Im deutschen Pavillon auf der Weltausstellung, wo sich jedes Bundesland mit nur einem Exponat darstellen darf, präsentiert Hessen die Gebrüder Grimm.

Lieben die Deutschen Märchen? Im deutschen Pavillon auf der Weltausstellung, wo sich jedes Bundesland mit nur einem Exponat darstellen darf, präsentiert Hessen die Gebrüder Grimm. Geschichten zwischen Realität und Fiktion, ein spielerischer Umgang mit der Technik, Faszination durch Illusion - das macht den Reiz der Expo aus. Wie Sao Paulo und Aachen im Jahr 2070 aussehen könnten. Oder der Paradiesgarten.

Ja, träumen kann ansteckend sein. Zum Beispiel das Träumen von 40 Millionen Besuchern. Und deshalb hat die Expo plötzlich ein Problem: die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit. Die Kritik am Anfang, die Weltausstellung sei schlecht organisiert und vieles zu teuer, damit konnte man leben. Und manches nachbessern. Aber wenn es jetzt landauf, landab heißt, es fehle an Besuchern, das ist vernichtend. Ein tolles Produkt, und keiner will hin? Deshalb hat das Management 70 Millionen Mark für eine neue Werbekampagne spendiert.

Wer an einem normalen Werktag hinfährt, kann darüber nur staunen. Die Besucher wirken zufrieden, ja fasziniert. Das zeigen ihre Gesichter, und sie sagen es auch, wenn man sie fragt. Vor allem aber: Das Bild von der leeren Expo ist eine Mär. Gleich morgens um zehn Uhr bilden sich Schlangen vor dem deutschen, dem französischen, dem niederländischen Pavillon, die japanische Konstruktion aus Alt-Papier ist stets überlaufen. Wartezeiten von 45 Minuten sind den ganzen Tag über die Regel.

Das gibt auch Expo-Chefin Birgit Breuel zu. Dennoch meint sie, die 100 000 bis 130 000 Besucher, die montags, dienstags, mittwochs gezählt werden, seien viel zu wenig. Am Wochenende sei es ganz schlimm, da kämen nur 60 000. Sie bleibt dabei, am Ende sollen 40 Millionen die erste Weltausstellung in Deutschland gesehen haben. Das wären - vom 1. Juni bis 31. Oktober - rund 260 000 am Tag, also mehr als doppelt so viele wie jetzt an normalen Werktagen. Und über 300 000 täglich müssten es im Schnitt künftig sein, um wettzumachen, dass in den ersten sechs Wochen ein paar Millionen weniger kamen als geplant.

Wo sollen die hin? Ein paar Tausend mehr, das wäre zu verkraften. Manche Ecken hätten größere Beachtung verdient und könnten sie auch vertragen, etwa die Afrika-Halle. Aber selbst in den weniger beachteten Länder-Pavillons ist es bereits jetzt ziemlich voll. Doppelt so viele Menschen auf dem Gelände, das mag für die Kalkulation gut sein, für den normalen Besucher ist es eine Horrorvorstellung. Noch größeres Gedränge an den Hauptattraktionen, das würde der Anziehungskraft des Produkts Expo schaden.

Hinter dem Streit um die Besucherzahlen stecken zwei völlig verschiedene Denkweisen. Das Management sieht die Finanzkalkulation. Die geht nur auf, wenn annähernd 40 Millionen zahlende Besucher kommen. So gesehen mag die Expo relativ "leer" sein. Aus Sicht der Gäste, die jetzt schon an vielen Orten lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, sollte sie dagegen nicht viel voller werden - außer vielleicht an den Wochenenden.

Die Diskussion um die Besucherzahlen ist eine falsche Ersatzdebatte. Anfangs fürchtete das Management wohl den offenen Streit über ein mögliches Defizit - was man verstehen kann. Deshalb wurde mit Zahlen hantiert, die für eine "schwarze Null" erforderlich sind - wofür man nicht mehr unbedingt Verständnis haben muss. Und das Verständnis hört vollends auf, wenn die Expo-Macher nun auf dem Planungsfehler beharren und mit einer Werbekampagne nachhelfen wollen, die einen zweifelhaften volkspädagogischen Unterton hat: Die Weltausstellung ist ein nationales Projekt, da müssen wahre Deutsche doch hin.

Das eigentliche Problem sind nicht zu wenig Gäste, sondern ist das sich abzeichnende Finanzloch. Für Birgit Breuel wäre die Diskussion über das Defizit vermutlich nicht angenehmer, aber sie wäre wenigstens ehrlicher. Und sie muss auch nicht in Trübsal enden. Betriebswirtschaftlich mag die Weltausstellung mit einer Deckungslücke von über eine Milliarde Mark enden. Volkswirtschaftlich wäre sie auch dann noch ein Gewinn - wenn die Schätzungen über fünf bis sechs Milliarden Mark Steuermehreinnahmen durch die Expo auch nur annähernd stimmen. Und wegen der Investitionen von 25 Milliarden Mark, die sie angezogen hat. Ganz zu schweigen von dem unbezahlbaren Wert eines Deutschlandbildes, das von einer heiteren, weltoffenen Expo geprägt wird.

Tja, man könnte ins Träumen geraten. Wenn man den Bürgern nur nicht am Anfang der Traum von einer Expo eingeredet hätte, deren betriebswirtschaftliche Bilanz eine schwarze Null ist. Daraus ist nämlich ein Alptraum geworden. Und der zieht das öffentliche Bild der Expo herunter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false