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Politik: Fachkräfte, verzweifelt gesucht

Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Osteuropäer ändert nichts am Bedarf der deutschen Wirtschaft

Berlin - Der Massenandrang auf den deutschen Arbeitsmarkt ist ausgeblieben. Seit über zwei Monaten können sich Bewerber aus acht mittel- und osteuropäischen EU-Staaten hierzulande ohne Beschränkungen nach Jobs umschauen. Doch trotz der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit dem 1. Mai gilt, bleibt ein Problem auf dem Arbeitsmarkt ungelöst: der Fachkräftemangel.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet damit, dass die Nettozuwanderung, die in diesem Jahr aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn nach Deutschland zu erwarten ist, unter der Marke von 100 000 Personen bleiben wird. Nach den Worten des IAB-Migrationsexperten Herbert Brücker, der sich bei dieser Schätzung auf Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beruft, sind das zu wenig, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland zu decken. Die vollständige Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes am 1. Mai habe nichts daran geändert, dass Großbritannien für Zuwanderer aus Osteuropa weiterhin attraktiver sei als Deutschland. Großbritannien hatte bereits 2004 eine weitgehende Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten eingeführt. „Damals fand eine Umlenkung der Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa nach Großbritannien statt, die sich nicht mehr umkehren lässt“, meint Brücker.

Nach der Einschätzung der SPD-Europaabgeordneten Jutta Steinruck bietet die uneingeschränkte Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb des europäischen Binnenmarktes durchaus eine Chance, fehlende Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen. „Aber solche Fachkräfte haben natürlich auch die Wahl, in das Land zu gehen, in dem ihnen die besten Bedingungen geboten werden“, sagt Steinruck. Dabei spielten Gehaltshöhe, Arbeits- und Lebensbedingungen eine besondere Rolle. „In diesen Punkten ist Deutschland wohl nicht konkurrenzfähig. Wenn es jedoch um den Niedriglohnsektor und die Leiharbeit geht, da sind wir leider Spitzenreiter.“

In Deutschland werden vor allem im Gesundheitswesen Ärzte, Krankenschwestern und Altenpfleger gesucht, berichtet Beate Raabe, Sprecherin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit. Auch bei den Ingenieurberufen werde ein Fachkräftemangel gemeldet. Zwar nehmen die deutschen Arbeitgeber die Einladung der ZAV an, sich auf Jobbörsen im Ausland nach potenziellen Bewerbern umzusehen.

Trotzdem bleibt die Suche häufig schwierig. „Der Arbeitsmarkt in Polen entwickelt sich relativ gut, so dass es gute Jobangebote für Polen in ihrem Heimatland gibt“, sagt Raabe. Gerade im Gesundheitsbereich gebe es in allen EU-Ländern eine große Nachfrage nach Arbeitskräften – also auch in Osteuropa. Dass der Bedarf an Fachkräften in Deutschland häufig nicht mit Bewerbern aus den neuen EU-Ländern gedeckt werden kann, hänge oft auch damit zusammen, dass potenzielle Bewerber nicht über die nötigen Deutschkenntnisse verfügten. Anders als bei den Facharbeitern sehen sich nach den Angaben von Raabe seit dem 1. Mai verstärkt Ungelernte aus den neuen EU-Ländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung um – allerdings gibt es seit Anfang Mai etwa für Reinigungskräfte und Erntehelfer keinen zusätzlichen Bedarf.

Für Bettina Wagner von der Beratungsstelle des DGB Berlin-Brandenburg für entsandte Beschäftigte ist es nicht überraschend, dass ein massenhafter Ansturm von Arbeitskräften aus Mittel- und Osteuropa trotz der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeblieben ist. Zum einen waren Akademiker und gesuchte Fachkräfte schon vor dem 1. Mai in der Lage, sich in Deutschland eine Beschäftigung zu suchen. Auf der anderen Seite hätten gering Qualifizierte bereits vor dem Stichtag im großen Stil von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, als Selbstständige in Deutschland zu arbeiten, erklärt Wagner. Sie verweist dabei auf Statistiken, wonach im Jahr 2006, also zwei Jahre nach der EU-Osterweiterung, rund 40 000 Polen in Deutschland ein Gewerbe anmeldeten. Im Jahr 2009 wurden immerhin auch noch 30 000 Gewerbe bundesweit von Polen angemeldet, wobei in Berlin überdurchschnittlich viele Selbstständige aus dem Nachbarland registriert wurden. Baustellenhelfer, Haushaltshilfen oder Reinigungskräfte aus den mittel- und osteuropäischen Staaten seien schon vor dem 1. Mai dank der Niederlassungsfreiheit „zuhauf“ nach Deutschland gekommen, lautet Wagners Fazit.

Seit dem 1. Mai melden sich bei der DGB-Stelle für entsandte Beschäftigte, die auch auf Polnisch und Rumänisch berät, allerdings vermehrt Selbstständige aus den neuen EU-Staaten, die ihre Tätigkeit in ein Angestelltenverhältnis umwandeln wollen. Es sei eine „gute Entwicklung“, wenn die Betroffenen sich über das deutsche Arbeitnehmerrecht informierten, meint Wagner. Trotz dieses Trends sieht sie allerdings immer mehr Probleme auf dem Arbeitsmarkt für Pflegekräfte: Dort werde zunehmend die Mindestlohn-Regelung umgangen, indem reguläre Pflegekräfte zu „Haushaltshilfen mit gelegentlicher Pflegetätigkeit“ deklariert würden.

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