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Bitte an der Tür abgeben: Eine Mutter bringt ihr Kind zur Kita.

© Annette Riedl/dpa

Familie und Beruf: Wie die Vereinbarkeitslücke den Arbeitsmarkt belastet

Hunderttausende Menschen mit kleinen Kindern würden gern arbeiten, tun es aber nicht. Neue Daten des Familienministeriums zeigen, was dem Arbeitsmarkt verloren geht.

Eine Kita, die schon mittags zumacht; ein Arbeitgeber, der das Homeoffice verweigert; ein Ehepartner, der nicht bereit ist, Kinderkrankentage zu nehmen: Es gibt viele Gründe, die Menschen – und insbesondere Mütter – mit kleinen Kindern davon abhalten, in dem Stundenumfang zu arbeiten, den sie sich eigentlich wünschen würden. Das Bundesfamilienministerium hat nun Zahlen vorgelegt, die zeigen sollen, wie viele Fachkräfte dem Arbeitsmarkt dadurch rechnerisch verloren gehen. 

In dem vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos erstellten Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, wird dargelegt, durch eine bessere Vereinbarkeit könne ein bisher ungenutztes Arbeitskräftepotenzial zu einem wesentlichen Teil erschlossen werden. 

Die Daten basieren auf dem sozio-oekonomischen Panel, einer repräsentativen Langzeitbefragung von Haushalten. Demnach würden 670.000 der gut zwei Millionen Mütter, deren jüngstes Kind noch keine drei Jahre alt ist und die derzeit nicht arbeiten, dies gern tun. Meist in Teilzeit. Bei Müttern, deren jüngstes Kind zwischen drei und fünf Jahren alt ist, liegt das ungenutzte Potential bei knapp 170.000 Personen.

71.000
Vollzeitkräfte kommen rechnerisch hinzu, wenn Mütter aufstocken würden

Dazu kommt, dass viele Mütter gern in Vollzeit arbeiten würden, tatsächlich aber nur in Teilzeit tätig sind. Das betrifft den Erhebungen zufolge 110.000 Personen (jüngstes Kind unter drei Jahren) beziehungsweise 37.000 Personen (jüngstes Kind zwischen drei und fünf Jahren). Auf Basis dieser Daten kalkulieren die Autor:innen, was geschehen würde, wenn sich durch eine bessere Vereinbarkeit eine höhere Arbeitszeit erreichen ließe. Angenommen, jede Mutter mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren, die derzeit weniger als 28 Wochenstunden arbeitet, würde ihr Stundenvolumen um eine Stunde aufstocken, würde dies einem Äquivalent von 71.000 zusätzlichen Vollzeitkräften entsprechen. 

Eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen, sagt Familienministerin Lisa Paus (Grüne). “Wir wissen aus Studien, dass viele Mütter gerne mehr arbeiten wollen. Sie tun es häufig nicht, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen.” Sie fordert, das Schulgeld für Auszubildende in den Bereichen Kita und Pflege abzuschaffen und die Ausbildungsabschlüsse zu vereinheitlichen, damit es genügend Personal in Kitas und Heimen gibt. 

Das Kabinett hat vergangenen Mittwoch eine neue Fachkräftestrategie beschlossen. Dabei handelt es sich um einen politischen Rahmen, in dem alle Anstrengungen im Kampf gegen den Fachkräftemangel gebündelt werden. Dieser belastet die Wirtschaft schon jetzt in vielen Branchen, beispielsweise dem Handwerk, der IT-Branche und den Gesundheitsberufen.

Vier Milliarden für die Kinderbetreuung

Im Herbst will die Koalition Eckpunkte für ein neues Einwanderungsgesetz vorlegen, auch das soll ein Baustein sein, um Fachkräfte zu gewinnen. Derzeit im parlamentarischen Verfahren ist der Entwurf für ein Kita-Qualitätsgesetz, mit dem der Bund in den kommenden zwei Jahren vier Milliarden Euro in die Kindertagesbetreuung investieren will. 

Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesfamilienministerin.
Lisa Paus (Bündnis90/Die Grünen), Bundesfamilienministerin.

© Foto: dpa/Michael Kappeler

Im Papier des Familienministeriums heißt es, beim Stichwort Vereinbarkeit werde noch zu oft nur daran gedacht, Teilzeitarbeit möglich zu machen. Nötig sei aber viel mehr: zum Beispiel flexibler Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit je nach Lebensphase, flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Wichtig seien Unterstützung für Beschäftigte bei der Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen und mehr Anreize für eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern. 

Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge, die in dem Papier zitiert werden, übernehmen in rund drei Viertel der deutschen Paarhaushalte Frauen mehr als die Hälfte der Sorgearbeit. DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagte dem Tagesspiegel, die Stärkung der Erwerbstätigkeit von Frauen sei ein wichtiger Hebel, um den Fach- und Arbeitskräftemangel zu beheben, und finde als solcher noch nicht genug Beachtung. Hier liege für den deutschen Arbeitsmarkt “das größte Potenzial”.

Politische Handlungsmöglichkeiten gebe es genug, etwa bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Erziehung, eine Reform des Ehegattensplittings oder auch flexiblere Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Nach Fratzschers Ansicht könnte ein “riesiger Gewinn für den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme” entstehen. 

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