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Zählen oder schummeln? Wahlhelfer in Kandahar bei der Arbeit.

© imago stock&people

Wahlen in Afghanistan: Familienangelegenheiten

Wieder wurde in Afghanistan eine Wahl manipuliert. Wahlbeobachter sprechen von "extensiven Unregelmäßigkeiten" – Wähler sollen bedroht oder eingeschüchtert worden sein. Profitieren könnte davon vor allem Präsident Karsai.

Auf den ersten Blick haben in Afghanistan wieder einmal mutige Bürger den Terrordrohungen der Taliban getrotzt und ihren politischen Willen durch ihr Kreuz bekundet. In dem Sinne lesen sich jedenfalls die Dank- und Grußworte von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Doch wie schon im vergangenen Jahr, bei der massiv manipulierten Präsidentschaftswahl, ging es auch bei der Parlamentswahl am Samstag weder frei noch fair zu. FEFA, die einzige flächendeckende afghanische Organisation aus unabhängigen Wahlbeobachtern, spricht von „extensiven Unregelmäßigkeiten“. In mehreren Fällen hätten Kandidaten oder ihre Mitarbeiter Wählern gedroht, sie eingeschüchtert oder Gewalt angewendet. Eine „besorgniserregende Zahl von Regierungsbehörden“ habe den Ablauf zugunsten der eigenen Kandidaten beeinflusst. In den meisten Provinzen seien Urnen außerdem ohne Aufsicht mit illegalen Stimmzetteln gefüllt werden. Vor allem dies sollte die neu konstituierte offizielle afghanische Wahlkommission eigentlich verhindern nach dem Skandal vom Vorjahr. „Einige Wahllokale haben viel zu spät geöffnet, andere schon vor Mittag wieder geschlossen“, so eine junge Frau, die für FEFA in der umkämpften südlichen Provinz Helmand Wahllokale beobachtet hat. In der Provinzhauptstadt Lashkar Gah gab es zwar Schlangen auch bei den Urnen für Frauen. In den meisten ländlichen Gebieten der Provinz konnte hingegen gar nicht gewählt werden.

Strittig bleibt die Wahlbeteiligung. Die staatliche Wahlkommission hat bis jetzt Zahlen zwischen 32 und 40 Prozent genannt. Dieser Angabe liegt vor allem die Anzahl zirkulierender Wahlzettel zugrunde. Längst aber ist klar, dass vermutlich mehrere Millionen falsche Stimmzettel und Wählerkarten im Land zirkulieren. Das afghanische Innenministerium gab an, zumindest 65 000 davon beschlagnahmt zu haben.

Ein Trend dieser Wahl: Zahlreiche ehemalige Warlords und Minister, die zum Teil als belastet gelten und ohnehin schon in Parlament oder Regierung sitzen, haben ihre Söhne und Töchter ins Rennen geschickt, um sich weitere Pfründe zu sichern. Das könnte Skepsis und Abneigung der Bevölkerung gegenüber ihren Volksvertretern noch steigern.

Auch die Gehälter der afghanischen Parlamentarier, bis unlängst 2000 US-Dollar im Monat oder mehr, sind nach Landesstandard extrem hoch und provozieren Neidgefühle. Zum Teil haben gleich mehrere Mitglieder aus ein und derselben Familie kandidiert, was nicht recht in das Bild einer pluralistischen Demokratie passt, wie sie westliche Regierungsvertreter und internationale Akteure zumindest verbal unverändert für Afghanistan anstreben. „Der demokratische Prozess ist gut in der Theorie“, sagt Ali Amiri, Dozent einer Privatuniversität in Kabul, „aber das zur Auswahl stehende Personal ist schlecht.“

Obwohl die Wahlen auf den Fortgang der aktuellen Kämpfe im Land nur mäßigen Einfluss haben dürften, gilt das Parlament, das sich frühestens gegen Jahresende konstituieren wird, als ein Gegenpol zur Machtfülle von Präsident Karsai. Dieser regiert zwar regelmäßig mit Dekreten an der Volksvertretung vorbei, hatte es zuletzt aber mit zunehmend unbequemeren Abgeordneten zu tun.

Eine Schwäche des Parlaments bleibt hingegen das faktische Verbot von Partei- und Fraktionsbildung nach westlichem Vorbild. „Kandidaten müssen die Möglichkeit haben, schon im Wahlkampf Bündnisse einzugehen. Zurzeit ist es einfach für Karsai und seine Regierung, die Abgeordneten zu manipulieren, weil jeder nur für sich selbst steht.

Von EU- und OSZE-Beobachtern in Kabul gibt es keine nennenswerten Reaktionen am Tag danach. Die wenigen, die anwesend waren, sind zum Schweigen verurteilt. Beobachter sehen darin ein Zeichen, dass der Westen sich schrittweise aus der politischen Aufbauhilfe in Afghanistan verabschiedet. Die kritischen Ergebnisberichte afghanischer wie internationaler Beobachtermissionen, die meist mit einigen Wochen Verzug erscheinen, waren bei westlichen Regierungsvertretern ohnehin noch nie ein Renner. Möglicherweise, weil sie den Eindruck verwässern könnten, den sich der Westen gern von Afghanistan macht.

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