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FAMILIENBANDE: FAMILIENBANDE

Die Zahl der Deutschen, die in Frankreich leben, und der Franzosen, die sich in Deutschland niedergelassen haben, ist überschaubar – es sind mehrere Hunderttausende. Es sind jedenfalls nicht viel im Vergleich zu den Einwanderern, die seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Nordafrika nach Frankreich und etwa ab demselben Zeitpunkt aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind.

Die Zahl der Deutschen, die in Frankreich leben, und der Franzosen, die sich in Deutschland niedergelassen haben, ist überschaubar – es sind mehrere Hunderttausende. Es sind jedenfalls nicht viel im Vergleich zu den Einwanderern, die seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Nordafrika nach Frankreich und etwa ab demselben Zeitpunkt aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind. Aber dennoch gibt es zwischen Deutschland und Frankreich eine zarte Familienbande, die über die Jahrhunderte gewachsen ist – den Kriegen zwischen beiden Ländern zum Trotz.

Zwar sind die Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich fliehen mussten und sich nicht zuletzt in Brandenburg-Preußen niederließen, das bekannteste Beispiel für eine Wanderungsbewegung zwischen beiden Ländern. In der jüngeren Geschichte waren es aber unterm Strich nicht Franzosen, sondern vor allem Deutsche, die sich auf der anderen Seite des Rheins eine Existenz aufzubauen versuchten. Das hängt damit zusammen, dass sich die Demografie – ganz im Gegensatz zur heutigen Situation – in Frankreich von 1850 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sehr viel schleppender entwickelte als in Deutschland. Frankreich war auf Handwerker, Tischler und Schuster aus dem Ausland angewiesen. „In erheblicher Zahl“, so Dominik Grillmayer vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, kamen diese Fachkräfte aus Deutschland. Nicht alle fanden allerdings ein Auskommen in Frankreich. Vor allem unter den ungelernten Arbeitern gab es viele, die in Paris zum Lumpenproletariat gehörten.

Neben den breiten Schichten der Ungelernten und Facharbeiter waren es natürlich auch Künstler und Intellektuelle, die es nach Paris zog, in „die schöne Zauberstadt“, wie sie Heinrich Heine nannte. So wie die Hugenotten eineinhalb Jahrhunderte zuvor aus religiösen Gründen die Flucht aus Frankreich ergriffen hatten, suchte Heine angesichts der deutschen Zensur das Weite – und fand dort unter anderem seine spätere Ehefrau Augustine Crescence Mirat, die er Mathilde nannte.

Für Kulturschaffende aus dem deutschsprachigen Raum ist die Pariser Region stets ein Sehnsuchtsort geblieben. Der Maler Anselm Kiefer, die Schauspielerin Romy Schneider und der Schriftsteller Peter Handke – sie alle gingen irgendwann im Verlauf ihrer Karriere nach Frankreich. Für viele Deutsche, die bis in die Achtzigerjahre ins Nachbarland kamen, war es nach den Worten des deutsch-französischen Historikers Etienne François nicht schwer, ihre nationale Identität abzulegen. Das Leben in Frankreich sei von ihnen häufig „wie eine Befreiung von der deutschen Last“ empfunden worden. Umgekehrt funktioniert das inzwischen auch: Die in Berlin lebende Schriftstellerin Marie N’Diaye, die 2009 mit dem renommierten französischen Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, habe, so François, ihrer französischen Heimat den Rücken gekehrt, weil sie „das Kleinkarierte der französischen Identität nicht mehr ertragen konnte“.

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