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FDP-Fraktionschefin Homburger im Interview: "Wir müssen liefern, liefern, liefern"

"Wer selbst etwas tut, muss mehr haben als der, der nichts tut": FDP-Fraktionchefin Birgit Homburger über den Rückhalt für Guido Westerwelle, Stuttgart 21 und die Hartz-IV-Regelsätze.

Haben Sie schon mal ans Aufhören gedacht?

Nein, warum sollte ich?

Ihr Parteichef hat es im Urlaub getan.

Das wurde längst klargestellt. Guido Westerwelle hat zu keiner Zeit Amtsmüdigkeit erkennen lassen.

Das Dementi war nicht sehr stark.

Er sagt, er habe in seinem Urlaub über die Belastung der Ämter nachgedacht. Solche Gedanken sind doch normal. Daraus gleich Amtsmüdigkeit zu machen, ist völlig übertrieben.

Aber keiner hat ihn zum Weitermachen ermuntert. Verliert er den Rückhalt der FDP?

Nein. Gerade finden Regionalkonferenzen der Partei statt, bei denen die Basis zu Wort kommt. Da gibt es kritische Rückmeldungen über die Arbeit in der Koalition. Gleichzeitig ist aber großer Rückhalt für Guido Westerwelle und die Parteiführung zu erkennen. Viele Parteimitglieder sind der Meinung, dass seit dem Wahlsieg Fehler gemacht wurden. Aber sie wissen auch, dass sie Guido Westerwelle den Wahlsieg zu verdanken haben. Die Partei will es gemeinsam packen.

Wie lange kann Westerwelle sich noch auf Dankbarkeit für den Wahlsieg berufen?

Wir sind ein Team. Wir werden auch diese schwierige Situation als Team meistern. Die Umfragen zeigen, dass die Menschen enttäuscht darüber sind, dass Schwarz-Gelb mit Rücksicht auf die Nordrhein-Westfalen-Wahl anfangs zu wenige Entscheidungen getroffen hat. Und die, die getroffen wurden, wurden zerredet. Die wichtigste Konsequenz daraus: Wir müssen in diesem Herbst liefern, liefern, liefern.

Sie selbst haben den Unmut zu spüren bekommen: Bei der Wiederwahl als Landesvorsitzende in Baden-Württemberg bekamen Sie einen deutlichen Dämpfer.

Das Ergebnis ist für mich ein weiterer Ansporn, besser zu werden.

Wie ist die Stimmung im Landesverband vor der Landtagswahl im März?

Kämpferisch.

Wie geht man im Ländle mit Umfragen um, die die Regierungspartei seit Wochen nahe an der Fünf-Prozent-Hürde sehen?

Klar, diese Umfragewerte sind nicht befriedigend. Aber die baden-württembergische FDP wird kämpfen. Wir wollen die Stimmung bis März wenden. Wir können das schaffen. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Stimmung in Berlin gedreht wird. Wir werden Handlungsfähigkeit zeigen und die Themen Gesundheit, Hartz IV, Haushalt und Energie entscheiden sowie die Neustrukturierung der Bundeswehr entschlossen vorantreiben. Wenn wir das hinbekommen und gemeinsam vertreten, dann wird am Ende des Jahres die Lage eine ganz andere sein.

Wie wichtig ist der Ausgang der Landtagswahl in Baden-Württemberg für die FDP?

Sehr wichtig. Baden-Württemberg ist das Stammland der Liberalen. Das Ergebnis ist daher bedeutend für die gesamte FDP, weshalb auch jeder Liberale seinen Beitrag leisten muss. Nicht nur in Baden-Württemberg. Die schwarz-gelbe Koalition in Stuttgart hat sehr gute Arbeit geleistet. Diese erfolgreiche Arbeit wollen wir fortsetzen.

Angela Merkel hat die Wahl zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 erklärt ...

Die Landtagswahl entscheidet sich nicht allein an einem Thema. Die Menschen interessieren sich für die Bildungschancen ihrer Kinder, Zukunftsfähigkeit durch Innovationen, Chancen auf Ausbildung und Arbeit und Bürgerrechte, beispielsweise mehr Bürgerbeteiligung. Die FDP fordert seit langem, die Bürgerbeteiligung zu stärken. Wir konnten uns mit der CDU auf eine leichte Verbesserung einigen. Die wurde dann allerdings von SPD und Grünen verhindert. Insgesamt geht es darum, ob Baden-Württemberg den Spitzenplatz in Zukunft halten kann, den es auf vielen Feldern hat.

Apropos Bürgerbeteiligung: Warum dann kein Volksentscheid über Stuttgart 21?

Davon halte ich nichts. Alles hat seine Zeit. Jetzt sind die Verträge unterschrieben, und das Projekt ist im Bau. Über die Bahnstrecke Stuttgart–Ulm und den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs wurde seit mindestens 15 Jahren diskutiert und auf allen Ebenen entschieden. Die Bürger sind eingebunden gewesen in dieses wichtige Infrastrukturprojekt. Vor zwei Jahren wurde von allen Seiten die Frage aufgeworfen, ob es Ministerpräsident Oettinger gelingt, eine Finanzierungsvereinbarung abzuschließen. Der SPD konnte es damals gar nicht schnell genug gehen.

Die Stimmung hat sich gedreht – warum?

Stimmungen sind beeinflussbar. Wir können die Menschen überzeugen. Die Befürworter müssen in die Offensive. Die FDP steht zu diesem wichtigen Infrastrukturprojekt. Wir werden das zeigen, indem wir an der Spitze der Bewegung stehen, die sich in Baden-Württemberg formiert, um für Stuttgart 21 auf die Straße zu gehen. Es gibt in Baden-Württemberg sehr viele Menschen, die für das Projekt sind. Es geht nicht nur um den Anschluss an das europäische Schienen-Hochgeschwindigkeitsnetz. Es ist ein Zukunftsprojekt für ganz Baden-Württemberg. Wenn wir Stuttgart 21 nicht zum Erfolg bringen, wäre das auch ein Zeichen dafür, dass Deutschland nicht in der Lage ist, mit der internationalen Entwicklung Schritt zu halten.

Wie erklären Sie den breiten Protest – hat die Politik Fehler gemacht?

Es haben alle Beteiligten Fehler gemacht. Es war erwartbar, dass es Proteste geben würde, wenn der Bau beginnt. Das weiß man doch aus allen vorangegangenen Infrastrukturprojekten. Es war eine kommunikative Meisterleistung der Bahn, den Abriss in der nachrichtenarmen Sommerzeit mit einem Bagger anzufangen. Wenn in einem solchen Moment auch noch alle Befürworter des Projektes auf Tauchstation gehen und den Gegnern das Feld überlassen, dann muss man sich nicht wundern, dass die Proteste größer und größer werden. Ich habe mich diese Woche vor den Bahnhof gestellt und für das Projekt geworben. Und ich habe es überlebt.

Die Koalition will am heutigen Sonntag über die neuen Hartz-IV-Sätze entscheiden. Werden neben Kindern auch Erwachsene höhere Regelsätze bekommen?

Im Zentrum unseres Interesses stehen die Kinder. Sie werden erstmals Leistungen für Bildung erhalten. Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit. Sie ist der Schlüssel für sozialen Aufstieg. Wir werden dafür sorgen, dass diese Leistungen treffsicher bei den Kindern ankommen. Bei den Erwachsenen ist der Regelsatz laut Bundesverfassungsgericht nicht evident unzureichend. Da kann eine geringe Erhöhung nötig werden, die dann aber auch aus dem Etat von Frau von der Leyen finanziert werden muss. Vor allem werden wir genau darauf achten, dass das Lohnabstandsgebot gewahrt wird.

Wie soll das geschehen?

Über erweiterte Zuverdienstmöglichkeiten. Wir wollen erreichen, dass mehr Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kommen. Wer selbst etwas tut, muss mehr haben als der, der nichts tut.

Im Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen steht das aber nicht.

Deshalb reden wir ja darüber. Für die FDP gehört die Neuregelung der Zuverdienstmöglichkeiten untrennbar zu dieser Reform. Im Übrigen haben die Karlsruher Richter die Höhe der Sätze nicht beanstandet, sie haben uns aber aufgegeben, die Berechnung transparent zu machen. Wir werden von den Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die uns das Gericht gegeben hat. Wir werden sehr genau überlegen, ob alle Bestandteile des Warenkorbes gerechtfertigt sind, die heute die Grundlage der Berechnung bilden.

Konkret: Muss der Steuerzahler Arbeitslosen Zigaretten und Alkohol bezahlen?

Das werden wir abwägen. Dabei geht es auch um gesellschaftliche Teilhabe. Allerdings wird im Gesundheitssystem viel Geld ausgegeben, um über die Gesundheitsschäden durch Tabak aufzuklären. Ich bin daher nicht der Meinung, dass Rauchen zum Grundbedarf gehört. Außerdem habe ich starke Zweifel, ob die Allgemeinheit den Alkoholkonsum in der bisherigen Höhe als Regelleistung für Arbeitslose weiter bezahlen muss.

Wir reden nur über Kürzungen. Sind auch neue Regelleistungen denkbar?

Durchaus. Es gibt gute Argumente dafür, dass heute ein Internet-Zugang zum Grundbedarf gehört.

Zum Schluss: Würden Sie darauf wetten, wer im nächsten Sommer Bundesvorsitzender der FDP ist?

Ich bin überzeugt, dass die Koalition aus FDP und CDU in Baden-Württemberg es schaffen wird. Sie hat erfolgreich für das Land gearbeitet. Daher wird sich diese Frage nicht stellen.

Um was wetten Sie?

Ich wette nie.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Thilo Rückeis.

ZUR PERSON

SPIELMACHERIN

Eigentlich wollte sie Profifußballerin werden. Stattdessen leitet die 45-Jährige seit Herbst die FDP- Fraktion. Ihr Vorgänger hinterließ ihr große Stiefel: Guido Westerwelle gab nicht nur die Richtung vor, er galt auch als einer der besten Debattenredner im Deutschen Bundestag.

KÄMPFERIN

Als absolut loyal gegenüber dem Parteichef galt Homburger bei ihrer Wahl. Angesichts katastrophaler Umfragewerte gärt es inzwischen auch in der Fraktion. Die burschikose und streitbare Politikerin muss sich deshalb nun wohl häufiger an ihr Lebensmotto erinnern, das lautet: „Niemals aufgeben!“

GELBFÜSSLERIN

Die studierte Verwaltungswissenschaftlerin aus Südbaden ist seit sechs Jahren Parteichefin im liberalen Stammland im Südwesten Deutschlands. Im Sommer bekam sie den Unmut der Basis zu spüren: Sie verlor bei der Wiederwahl rund 20 Prozentpunkte an Zustimmung. Der Ausgang der Landtagswahl im März gilt auch für die Bundes-Liberalen als Existenzfrage.

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