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FDP: Unbeirrbar wütend

Die FDP ist selbstbewusst und dünnhäutig zugleich – und sie hat ein Problem: Sie weiß nicht, wie man sich zurücknimmt.

Berlin/Schwerin - Michael Schmitz spricht leise und wählt seine Worte mit Bedacht. Vor ihm stehen im gediegenen Ambiente eines Schweriner Weinrestaurants rund 100 FDP-Mitglieder und warten auf die Rede der neuen Fraktionschefin der FDP im Bundestag Birgit Homburger. Schmitz sieht ein bisschen aus wie Joschka Fischer, und was der FDP-Kreisvorsitzende beim Neujahrsempfang sagt, klingt auch nicht nach Guido Westerwelles „Wir-haben-immer-recht“-Mantra. Die Partei solle nämlich, sagt Schmitz, ein Hort liberaler Ansichten sein, was einschließe, dass man auch mal ganz gelassen andere Meinungen zur Kenntnis nehme.

Nun ist Schmitz kein liberaler Revolutionär, er steht zu den Forderungen seiner Partei, und es wäre unfair, ihm zu unterstellen, er habe nordisch kühl ausgesprochen, woran es den Bundesliberalen und ihrem Vorsitzenden mangeln könnte – nämlich an Gelassenheit. Und doch hat der kleine Parteifunktionär Schmitz das gesagt, was bei einigen liberalen Bundespolitikern von Gewicht so klingt: Laut und aggressiv sein reicht als Taktik nicht aus. Die Parteistrategen um Guido Westerwelle haben sich zwar darauf festgelegt, bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen Budenzauber zu machen und keinen Zentimeter von den eigenen Vorstellungen abzurücken, aber die zunehmende Dünnhäutigkeit des Parteichefs, die dieser mit Aggressivität überspiele, wie es einer aus den liberalen Ministerien sagt, erscheint doch vielen als der Sache nicht dienlich. Westerwelle sei schließlich nicht der Einzige, dem der Gegenwind ins Gesicht wehe. Man müsse sich auch zurücknehmen können.

Doch genau hier liegt das Problem der Partei. Sie weiß nicht, wie das geht: sich zurücknehmen. Sie hat über zehn Jahre lang angegriffen. Und so herrscht trotz der mauen Umfragewerte ein überbordendes Selbstbewusstsein, gespeist aus den fast 15 Prozent bei der Bundestagswahl. Oft ist es die Gestik, der Ton, die Aggressivität, gepaart mit zur Schau getragener Professionalität, mit denen Liberale irritieren. Als der junge Generalsekretär Christian Lindner seine Jungfernrede im Bundestag hielt, war sie rhetorisch ein Glanzstück, Bundestagspräsident Norbert Lammert gratulierte, trotzdem ließ Lindner manchen Beobachter irritiert zurück: Er hatte am Pult perfekt vorbereitet gewirkt, aggressiv in der freien Rede, abgestimmt in der Gestik und Mimik, SPD und Grüne waren sofort pikiert – und doch mochte der Auftritt nicht passen zu Lindners 31 Jahren. Er war bewusst respektlos. Und so fürchten manche, dass ihnen dieses Selbstbewusstsein als Arroganz und Besserwisserei ausgelegt wird. Der Parteienexperte Gerd Langguth hat gerade darauf hingewiesen, dass die liberale These von den schrumpfenden Mittelschichten zwar richtig sei, diese Wahrheiten aber in der vorgetragenen Polemik beispielsweise gegen Hartz-IV-Empfänger untergehe.

Zudem hat die forsche Ankündigung der FDP, man wolle gleichzeitig Steuern senken, eine Steuerstrukturreform machen und den Haushalt sanieren, bis heute keine Konkretisierung erfahren. Zwar hat die Fraktionsvorsitzende auch in Schwerin betont, das liberale Sparbuch sei nun der Haushalt, und man habe bereits im Haushalt 2010 Einsparvorschläge verankert. Aber die liberalen Parteifreunde Mecklenburg-Vorpommerns warteten vergeblich darauf, dass Homburger ihnen Beispiele nennen würde. Homburgers Haushaltsexperten in der Fraktion arbeiten nämlich noch daran. Der bayrische Wirtschaftsminister Martin Zeil forderte dieser Tage konkrete Vorschläge, damit „klar wird, woran die Bürger sind“, aber er forderte sie von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Ohnehin ist die CDU ein Grund für die Dünnhäutigkeit nicht nur des Parteivorsitzenden und Außenministers. Bis hinunter an die Basis etwa in Schwerin beklagen Liberale die Angriffe der Union und „deren Verweigerungstaktik“. „Wir sind auch nicht so doof und denken, wir könnten alles umsetzen. Aber wenn gar nicht wirklich verhandelt werden soll, dann können auch nicht 100, 70 oder 50 Prozent der Vereinbarungen herauskommen“, beklagt ein Spitzenliberaler.

Und so ist die Gewissheit gewachsen, dass man sich wehren müsse. „Wenn eine Rakete hochgeht, dann müssen wir den Abfangjäger schnell schicken“, heißt es in der Partei. Dafür müssten endlich die Kommunikationsprobleme des Parteiapparates gelöst werden. Tatsächlich geben sich die einzelnen Gremien und Parteifunktionäre im Moment noch gegenseitig die Schuld am derzeitigen Umfragetief und an der schlechten Wahrnehmung der Partei. In der Fraktion verwies man auf die mangelnde Performance der Minister, bei den Ministern beklagte man zu wenig Unterstützung aus der Fraktion, in den Bundesländern forderte man mehr Stringenz von der Parteizentrale und kritisierte, dass sich der Parteichef zu spät um die Strukturen gekümmert habe. In der Opposition hat Westerwelle seine Partei militärisch straff geführt, sie war sozusagen eine Kaderpartei, auf geschlossenen Angriff gedrillt. Und der oberste Angreifer war natürlich Westerwelle selbst. Nach der Wahl war alles anders, weil wichtige strategische Positionen im internen Machtapparat nicht schnell genug neu besetzt werden konnten. Der kritische Hinweis des schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionschefs Wolfgang Kubicki, man erlebe derzeit „eine gewisse Auflösung der Ordnung der FDP“, haben deshalb viele in der Partei für richtig gehalten. Dagegen wurde die Kritik von Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn, Westerwelle habe vor der Wahl Denkverbote für die Zeit danach erteilt, eher als „Nestbeschmutzung“ angesehen.

Der Kitt, der die Partei zusammenhält, ist die Wut auf die CDU. Trotzig verweist ein Parteistratege auf die Bundestagswahl, wo, wie er sagt, die letzte Partei, die keine Umverteilungspolitik wolle, ihr historisch bestes Ergebnis eingefahren habe. Aus diesem Selbstverständnis heraus hat der Parteichef beschlossen, nochmals alles auf eine Karte zu setzen, auf die Karte „Leistung muss sich wieder lohnen“, auf die Karte „Wir kümmern uns um die, die den Karren ziehen“. Deshalb sagt er Sätze wie „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein“. Es sei doch schließlich eine Tatsache, beteuert ein Liberaler, dass immer mehr Menschen in der unteren Mittelschicht feststellten, es würde nur noch eine Politik gemacht, die sich um die Menschen ohne Arbeit kümmere. Gleichzeitig weist man empört Vermutungen zurück, Westerwelle wolle im national-konservativen Milieu der CDU fischen.

Jedenfalls ist der Chefdiplomat der Bundesregierung, der Außenminister, jetzt auch eine Art Oppositionsführer. Bis zum Wahltag in NRW wird das so sein, dann steht das Herzstück liberaler Reformpolitik auf dem Spiel. Wenn Schwarz-Gelb fällt, fällt auch die Bundesratsmehrheit für die Bundesregierung – für eine grundlegende Steuerstrukturreform würde dann die Mehrheit fehlen.

Michael Schmitz, der FDP-Mann aus Schwerin, hat noch gesagt, dass man als Liberaler auch Gedanken quer zur Parteilinie äußern darf. Nach der NRW-Wahl könnte das verstärkt der Fall sein.

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