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Politik: Feindliche Übernahme

Von Clemens Wergin Was immer sich der Mörder von Pim Fortuyn erhofft haben mag, sein Ziel wird er nicht erreichen. Die Trauerbekundungen tausender Holländer zeigen, dass Fortuyns Partei bei den holländischen Parlamentswahlen am 15.

Von Clemens Wergin

Was immer sich der Mörder von Pim Fortuyn erhofft haben mag, sein Ziel wird er nicht erreichen. Die Trauerbekundungen tausender Holländer zeigen, dass Fortuyns Partei bei den holländischen Parlamentswahlen am 15. Mai sogar mit einem Mitleidsbonus rechnen darf. Zudem findet posthum nun das statt, wogegen sich der geborene Provokateur zu Lebzeiten heftig gewehrt hätte: Seine Eingemeindung in die große holländische Konsens-Familie.

Norwegen, Belgien, Portugal, die Schweiz, Frankreich - das sind die Länder, in denen Rechtspopulisten bei den letzten Wahlen kräftig zugelegt haben. In Österreich, Italien und Dänemark sind sie schon an der Macht. Vor wenigen Wochen wurde der italienische Regierungsberater Marco Biagi erschossen, jetzt traf die Kugel Fortuyn. Mit Attentaten gegen die rechte Welle: Ein Kontinent heizt sich auf.

Gerade in den erfolgreichen Regionen Europas sind die Populisten auf dem Vormarsch. Im reichen Norditalien von Umberto Bossis Lega Nord ebenso wie im holländischen Poldermodell und in Frankreich, wo es Jospin gelang, die 35-Stunden-Woche mit einem kräftigen Aufschwung zu verbinden. Nicht zu vergessen Schills Hamburg, die Stadt mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen Europas. Und auch Haiders Österreich, Blochers Schweiz, Norwegen, Belgien und der dänische Wohlfahrtsstaat zählen nicht zu den Armenhäusern Europas.

Geht es uns zu gut? War Fortuyn, ist Silvio Berlusconi nur der Showmaster, der ein gelangweiltes Publikum mit starken Worten und ein wenig Charme bei Laune hält und nach denselben Kriterien ausgewählt wird wie das abendliche Fernsehprogramm? Mehr Wohlstand, so scheint es, führt auch zu gesteigerten Verlustängsten. Auch angesichts der fast täglich an den Küsten Spaniens und Italiens landenden Flüchtlingsschiffe macht sich eine Ahnung breit von der Verletzlichkeit unserer Wohlstandsinsel, von der Brüchigkeit der globalen Verhältnisse.

Die Rechtspopulisten sind zu unterschiedlich, als dass sie sich über einen Kamm scheren ließen. Da gibt es die Altbackenen wie Le Pen, Blocher, den Vlaamse Blok in Belgien und die Alleanza Nazionale Gianfranco Finis: Parteien mit Wurzeln im Rechtsextremismus der 20er und 30er Jahre. Haider stellt schon eine Mischform dar zwischen Rückwärtsgewandtheit und dem neuen Typus des prinzipienlosen Medienpopulisten, der jeweils das sagt, was „das Volk“ gerade denkt. Meister dieses Fachs ist zweifellos Berlusconi, der innerhalb weniger Tage 180-Grad-Drehungen vollzieht, wenn es seine Demoskopen raten.

Es gibt aber auch gemeinsame Merkmale. Die Ablehnung von Ausländern etwa, die bis zur offenen Feindschaft reicht und sich seit dem 11. September auf Muslime fokussiert. Dazu kommt der Hass auf das System. Auf die Eliten in Politik und Medien, die die öffentliche Meinung angeblich beherrschen. Der Rechtspopulismus ist auch Protest gegen den öffentlichen Korrektsprech. Zuweilen ein notwendiges Alarmsignal der Demokratie, weil die Provokation moderate Politiker zwingt, Probleme wie etwa Kriminalität in den Vorstädten ernst zu nehmen.

Was die Rechtspopulisten mit ihrem Hass auf die etablierten Mechanismen der Demokratie anrichten können, ist in Italien zu besichtigen. Dort formt Berlusconi den Staat zu seinem Privatnutzen um und versucht sich Gerichtsbarkeit und Medienöffentlichkeit untertan zu machen. Er interpretiert seine Wahl als Plebiszit, das ihm eine feindliche Übernahme des Staates erlaubt. Die nach 1989 vermeintlich siegreiche Demokratie erweist sich als verletzlicher, als wir dachten. Es wird Zeit, dass Europa aufwacht.

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