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Festakt: Köhler und Merkel loben Mut von ’89

Erinnerung an die Leipziger Montagsdemonstration: Bundespräsident Horst Köhler schilderte eindringlich die Dramatik der Ereignisse vor 20 Jahren. Bei Zeitzeugen und Historikern stieß allerdings eine Passage aus seiner Rede auf Widerspruch.

Leipzig - „In den Betrieben wurden die Belegschaften angewiesen, die Innenstadt zu meiden, denn da werde Blut fließen. In den Schulen wurde den Kindern gesagt: Geht nicht in die Stadt heute, da könnte Schlimmes passieren. Das Wort von der ’chinesischen Lösung’ machte die Runde.“ Eindringlich schildert Bundespräsident Horst Köhler die Dramatik der Ereignisse vor 20 Jahren. Auf den Tag genau 20 Jahre nach der inzwischen legendären Leipziger Montagsdemonstration mit 70 000 Menschen – bei der die Waffen wie durch ein Wunder nicht eingesetzt wurden – erinnern Köhler, andere Politiker und Zeitzeugen am Freitag bei einem Festakt daran. Das Staatsoberhaupt würdigt den Mut derer, die sich vor 20 Jahren mit der Forderung nach Demokratie auf die Straßen wagten: „Danke!“

Der Blick in die ersten beiden Reihen im Gewandhaus trifft auf viele bekannte Gesichter der Wende-Zeit: Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die Pfarrer Friedrich Schorlemmer und Christian Führer. Die Bürgerrechtler Wolfgang Thierse, Markus Meckel und Werner Schulz sitzen dort.

Schulz nutzt den Festakt für scharfe Appelle an die politische Führung in Deutschland. „Wir sind das Volk“, sei die einprägsame Formel der Demonstranten 1989 gewesen, sagt Schulz. Dieser Satz gelte auch heute noch. „Wir waren nicht das Volk, sondern wir sind das Volk.“ Er vermisse eine angemessene politische Beteiligung der Menschen an der Politik. Bürgerentscheide auf Bundesebene gebe es immer noch nicht, kritisiert Schulz.

Das Volk hat am Abend in Leipzig die Gelegenheit, den Geist von 1989 zu erleben und zu beleben. So wie vor 20 Jahren Zehntausende über den Innenstadtring gezogen waren und die bewaffnete und verunsicherte Staatsmacht mit Kerzen in den Händen besiegten, so erleuchtet auch an diesem Tag ein Lichtermeer die Innenstadt. Doch die Illumination übernehmen diesmal internationale Künstler, die Kerzen, die die Menschen damals selbst mitbrachten, werden heute von Mitarbeitern der Stadt verteilt. Am Freitag präsentiert sich in der „Heldenstadt Leipzig“ auch erstmals die „Stiftung friedliche Revolution“ der Öffentlichkeit. Pfarrer Christian Führer betont dabei: „Wir wollen die friedliche Revolution nicht ins Museum stellen, sondern wir wollen weitergehen und auch heute zum Handeln anstiften.“

Bei Zeitzeugen und Historikern stieß unterdessen eine Passage aus Köhlers Rede beim Festakt auf Widerspruch, in der der Präsident auf eine konkrete Gefährdung der Bevölkerung in Leipzig vor 20 Jahren hingewiesen hatte. „Zeugenaussagen und Dokumente belegen: (...) Vor der Stadt standen Panzer (...) und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt“, hatte Köhler gesagt. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) teilte mit, diese Darstellung zur Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 sei nicht korrekt. Nach Recherchen des MDR gab es weder Panzer vor der Stadt noch seien Blutplasma oder Leichensäcke bereitgestellt worden. Der Bundespräsident habe seine Angaben wahrscheinlich aus einem bekannten Buch, das teils falsche Fakten nenne, sagte der Leiter der Feature-Redaktion beim MDR-Hörfunk, Ulf Köhler. „Sollte sich herausstellen, dass uns ein Fehler unterlaufen ist, so würden wir das sehr bedauern“, sagte Köhlers Sprecher Martin Kothé am Freitagabend der Deutschen Presse-Agentur dpa und kündigte eine Prüfung an. dpa/ddp

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