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Finanzkrise: Machtkampf in Lettland

Proteste gegen die Folgen der Finanzkrise haben in Lettland einen politischen Machtkampf ausgelöst. Das baltische Land hatte am Dienstag die größte Demonstration seit der Unabhängigkeit erlebt.

Nach offizieller Zählung waren mehr als 10 000 Menschen dem Aufruf der Opposition und mehrerer Gewerkschaften in die Rigaer Altstadt gefolgt. Der ehemalige Außenminister Artis Pabriks rief den Präsidenten der Republik Valdis Zatlers auf, das Parlament aufzulösen. Die Menschenmassen, die sich auf dem engen Domplatz drängten, griffen diese Forderung in Sprechchören auf. Zatlers selbst reagierte – er drohte am Mittwoch mit einer Initiative zur Auflösung des Parlaments und warf der Regierung von Ministerpräsident Ivar Godmanis und anderen führenden Politikern vor, sie hätten „den Kontakt zur Außenwelt verloren“.

Lettland steckt tief in der Rezession. Einst als Musterschüler und „baltischer Tiger“ bejubelt, stürzte die Wirtschaftsentwicklung nach dem Höhenflug von reichlich zehn Prozent BIP-Wachstum im Jahr 2007 ab. Nach einem Nullwachstum im Vorjahr wird nun ein Rückgang von fünf Prozent erwartet, auch Horrormeldungen von minus zehn bis 15 Prozent machen die Runde. Die Preise steigen weiterhin im zweistelligen Prozentbereich, die Inflation ebenfalls.

Doch es geht nicht nur um wirtschaftliche Depression – es geht auch um die politische und die gesellschaftliche. Die Mitte-rechts-Regierungskoalition unter Premierminister Godmanis ist zwar erst ein Jahr im Amt, doch Meldungen von Korruption, Vetternwirtschaft und Skandalen reißen nicht ab. Nur noch zehn Prozent der Letten vertrauen ihrer Regierung.

Nach Ende des Großprotestes, als die Menschen sich durch die engen Gassen der Altstadt auf den Heimweg machten, entluden einige Hundert meist junge Menschen ihren Zorn an Schaufensterscheiben. Die Lage eskalierte. Rigas Polizeichef Andris Dzenis rief den Ausnahmezustand aus, als sich ein größerer Pulk in Richtung Parlamentsgebäude bewegte mit der augenscheinlichen Absicht, das Gebäude zu stürmen. Flaschen, Schneebälle und Steine flogen, von der Polizei und Spezialeinheiten mit Tränengas und Schlagstöcken erwidert. Von den angekündigten 1000 Polizisten waren anfangs nur 200 im Einsatz. So dauerten die folgenden Straßenschlachten bis nach Mitternacht an. Mehr als hundert Menschen wurden festgehalten.

Holger Klemm

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