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Steinbrück

© dpa

FINANZKRISE: Merkel kann nicht punkten

Die Politik ringt um Rettungsmaßnahmen aus der Finanzkrise. Kanzlerin Merkel verteidigt das Hilfspaket im Parlament – und erleidet mit einer Personalie Schiffbruch.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Hans Tietmeyer hat viel gemacht in seinem Leben – Finanzstaatssekretär war er, auch Bundesbankpräsident; ein international geachteter Finanzfachmann. Als Angela Merkel bekannt gibt, dass sie den 77-Jährigen an die Spitze einer Expertengruppe berufen wird, die der Regierung Wege zur Neuordnung der Finanzmärkte aufzeigen soll, geht ein Raunen durch den Bundestag. Es ist aber kein Raunen der Anerkennung, sondern ein verblüfftes. Bei der Linken johlen sie regelrecht. Die Kanzlerin guckt unwirsch und verteidigt ihre Wahl. Das ist, wie sich noch zeigen wird, ein Fehler.

Dabei sind Fehler das, was Merkel am Mittwoch besonders sorgsam zu vermeiden versucht. Ihre zweite Regierungserklärung zur Finanzkrise binnen einer Woche ist ein Balanceakt. Einerseits muss die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende die Lage an den Finanzmärkten bedrohlich genug darstellen, um das einzigartige 500-Milliarden-Rettungspaket zu rechtfertigen und ihre Regierung ins rechte Licht zu rücken. Andererseits darf nicht nur ihr gedämpft herbstrotes Jackett die Botschaft ausstrahlen: Es besteht Grund zu gewissem Optimismus. Von der „schwersten Krise seit den 20er Jahren“ spricht sie deshalb, von der Pflicht der Regierung, sie abzuwenden, „und zwar zum Nutzen der Bürger“. An der Stelle applaudieren die Koalitionsfraktionen besonders laut. Dass nicht raffgierige Banker belohnt, sondern Wirtschaft und Bürger vor dem drohenden Ruin gerettet werden, kann aus Sicht von CDU, CSU und SPD nicht oft genug gesagt werden. Genauso ein zweiter Punkt: „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ – Banken, die Staatsgarantien oder Geld in Anspruch nehmen, müssen zurückzahlen und Eingriffe in ihr Geschäft dulden.

Der Finanzminister wird das später auf seine handfeste Art bekräftigen: „Wenn es auf den Weltfinanzmärkten brennt, dann muss gelöscht werden, auch wenn Brandstiftung im Spiel war“, sagt Peer Steinbrück. Er ist so hundemüde, dass er morgens mit schwerem Schritt auf die Regierungsbank zugewankt ist. Vor Steinbrück hat aber noch ein anderer das Wort ergriffen. Bundestagspräsident Norbert Lammert, sonst stets nur stummer Sitzungsleiter, dankt besonders der Opposition, dass sie das Rettungspaket im Eilverfahren verabschieden helfen. Das zeige, sagt der zweite Mann im Staat, die „Solidarität der Demokraten“ funktioniere.

Das tut sie; alle Fraktionen werden das Riesenpaket passieren lassen, selbst Oskar Lafontaine nennt es „in der Sache nicht zu kritisieren“. Ansonsten redet Lafontaine aber derart schnell und viel, dass er Silben schluckt. Was zu verstehen ist, läuft darauf hinaus, dass es sich nicht um eine Finanzmarktkrise handele, sondern eine der Demokratie sowie der Wirtschafts- und Sozialordnung. Einmal – als er fordert, die Steueroasen auszutrocknen – trägt ihm das sogar Beifall von den SPD-Bänken ein. Der Hochdruck-Redeschwall verrät aber nur allzu klar, dass hier ein politisches Geschäftsmodell gefährdet ist. Wo eine CDU-Kanzlerin die Märkte kontrollieren, ein SPD-Finanzminister Managergehälter bei 500 000 Euro kappen will, bleibt kein Platz. Auch Lafontaine hat neulich eine Begrenzung gefordert – auf 600 000 Euro.

Wenn Ton und Lautstärke ein Indiz darstellen, hat ein zweites Geschäftsmodell übrigens ebenfalls zu kämpfen. Guido Westerwelle beschwört „patriotische Verantwortung“ dafür, dass die FDP das Gesetzespaket passieren lässt, verschiebt Kritik am Krisenmanagement ausdrücklich auf später – nur um dann doch über „Notverordnungen vollständig am Parlament vorbei“ zu klagen. Steinbrück wird das später empört zurückweisen – Notverordnungen waren das Ende der Weimarer Republik. Aber auch sonst pflegt der FDP-Chef den hohen Ton, nur ideologisch andersrum als Lafontaine: „Es ist das beste System, das es jemals auf deutschem Boden gab“, ruft Westerwelle aus, als sei die Wirtschafts- und Sozialordnung wahrhaftig bedroht. Dabei ist doch bloß die Parole im Kurs gesunken, dass Märkte umso besser funktionierten, je mehr Freiheit man ihnen lasse.

Einer, der diese These immer stützte, ist Hans Tietmeyer. Aber nicht deswegen ist dem SPD-Haushälter Carsten Schneider anders geworden, als Merkel den Namen nannte. Schneider fällt in dem Moment etwas ein, was er fast vergessen hatte: Der Altfinanzer hatte bis vor kurzem einen Nebenjob. Tietmeyer saß im Aufsichtsrat der Hypo Real Estate. Ausgerechnet HRE, die Zocker-Bank, die der Bund mit 50 Milliarden Euro retten musste! Schneider spricht mit SPD-Fraktionschef Peter Struck. „Das geht doch gar nicht“, knurrt der. Auch Steinbrück signalisierte, dass er von Merkels Ankündigung überrascht war. Kurz darauf merkt Schneider kühl vom Rednerpult aus an, seine Fraktion trage die Personalie nicht mit: „Da wird der Bock zum Gärtner gemacht.“

Wenig später sieht man Merkel in einer Krisenrunde: ihr Kanzleramtsminister, ihr Wirtschaftsberater, der Regierungssprecher, der Unionshaushälter Steffen Kampeter. Merkel tigert weiter zu Steinbrück, zu Unionsfraktionschef Volker Kauder. Ihre gute Idee war doch nicht so gut. Wenig später verbreitet die Deutsche Presse-Agentur eine Eilmeldung. Tietmeyer verzichtet auf den Beraterposten. Er hat in diesem Falle etwas zu viel gemacht in seinem Leben.

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