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Es ist das erste Mal, dass eine Ratingagentur für falsche Einschätzungen von Wertpapieren zur Rechenschaft gezogen wird.

© Reuters

Finanzmarktregulierung: Welche Chancen hat die Klage gegen Standard & Poor's?

Die US-Regierung will die Ratingagentur Standard & Poor’s für die Finanzkrise haften lassen. Sie habe wissentlich Höchstnoten für Schrottpapiere vergeben. Das Urteil könnte wegweisend sein.

Die Krise begann ganz bieder, mit dem Traum vom Eigenheim. Für Millionen von Amerikanern wurde er zum Albtraum, als 2008 die Immobilienblase platzte und zur Finanzkrise führte. Häuser verloren an Wert, Eigentümer konnten ihre Hypotheken nicht bezahlen, und an der Wall Street lösten sich Milliarden-Investitionen in heiße Luft auf. Anleger hatten unzählige Hypotheken-Papiere für sicher gehalten – immerhin hatten die Ratingagenturen stets Bestnoten vergeben. Zu Unrecht, wie sich zeigte, und dafür soll zumindest eine Agentur nun büßen. Das amerikanische Justizministerium verklagt den Branchenprimus Standard & Poor’s (S&P) und dessen Muttergesellschaft McGraw-Hill auf Schadenersatz in Milliardenhöhe – auch ein Schuldeingeständnis wird gefordert.

Was steht in der Klage?

An der Klage der Regierung dürften sich die Staatsanwälte zahlreicher amerikanischer Bundesstaaten beteiligen. Gemeinsam wirft man Standard & Poor’s vor, das Unternehmen habe „wissentlich und in betrügerischer Absicht eine Tat erdacht und ausgeführt, um Investoren zu schaden“. Zudem habe es immer wieder die eigene Arbeit als „objektiv, unabhängig und frei von Interessenskonflikten“ dargestellt.

Es ist das erste Mal, dass eine Ratingagentur für falsche Einschätzungen von Wertpapieren zur Rechenschaft gezogen wird. Entsprechend einfach macht man es sich zunächst bei Standard & Poor’s. Das Unternehmen sieht weder faktisch noch legal eine Grundlage für die Klage und beruft sich auf die Meinungsfreiheit, die in der amerikanischen Verfassung verankert ist. Die Einschätzungen zu Wertpapieren seien „lediglich Meinungen“ gewesen und keine bindenden Empfehlungen.

Wie kommen Agenturen zu ihren Ratings?

Standard & Poor’s führt an, dass immerhin auch die beiden anderen Agenturen – Moody’s und Fitch – bei den meisten Wertpapieren zur gleichen Einschätzung gekommen seien und Bestnoten vergeben hätten. Ob das Justizministerium auch gegen die beiden Konkurrenten vorgehen wird, ist zur Zeit nicht bekannt. Dass alle drei Agenturen für gewöhnlich dieselbe Note für ein Wertpapier vergeben haben, ist ebenso richtig wie die Tatsache, dass sie für ihre Bewertungen unterschiedliche Rechenmodelle anlegen.

Richtig ist aber auch, dass die Agenturen sich von Emissionären für die Bewertung von komplizierten Investments bezahlen ließen – und zwar fürstlich. In den Jahren vor der Finanzkrise heimsten die Agenturen Rekordgewinne ein. Der Branchenprimus hat allein für die Einschätzungen von vierzig Wertpapieren, die in der aktuellen Klage genannt werden, Gebühren von rund 13 Millionen Dollar kassiert. Der offensichtliche Interessenskonflikt – Bestnoten gegen Bezahlung – könnte Standard & Poor’s vor Gericht zum Verhängnis werden.

Aus internen E-Mails wird deutlich, dass Standard & Poor’s alles andere als eine ehrliche Meinung zu den unterschiedlichen Papieren abgab. „Die Ratingagenturen bauen jetzt ein noch größeres Monster auf: den CDO-Markt“, schrieb 2006 ein Mitarbeiter intern mit Bezug auf den nur lax regulierten Handel mit den komplizierten „Collateral Debt Obligations“. Er schreibt weiter: „Hoffen wir, dass wir alle reich und im Ruhestand sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenfällt.“

E-Mails wie diese – insgesamt liegen dem Justizministerium 20 Millionen E-Mails vor – scheinen zu belegen, dass man intern sehr wohl wusste, dass sich auf dem Hypothekenmarkt eine Blase bildete, und dass man aus reiner Gewinnsucht mitspielte.

Was bedeutet das Verfahren für Standard & Poor's?

Foto: picture alliance/dpa; Montage: Olga Hoffmann
Foto: picture alliance/dpa; Montage: Olga Hoffmann

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Die Agentur verteidigt sich und verweist auf die Fehler der anderen. Nicht nur die Konkurrenten, sondern auch der Offenmarktausschuss der Notenbank habe die Risiken im Immobilien- und Hypothekenmarkt unterschätzt. Tatsächlich hatte die Fed zu Beginn der Finanzkrise lange behauptet, die Risiken auf dem Immobilienmarkt seien „unter Kontrolle“.

Für Standard & Poor’s steht mit dem Prozess, der in einem Bundesgericht in Los Angeles eingereicht wurde, einiges auf dem Spiel. Der angestrebte Schadenersatz in Milliardenhöhe würde den gesamten Jahresgewinn der Muttergesellschaft auslöschen. Ein gefordertes Schuldeingeständnis könnte zudem unzählige strafrechtliche Klagen von Anlegern nach sich ziehen. Entsprechend panisch reagierten Anleger an der Wall Street: Als die Nachricht über den Prozess auf dem New Yorker Parkett die Runde machte, brachen die Aktien der Ratingagenturen um mehr als 10 Prozent ein – eine Erholung war im frühen Dienstagshandel zunächst nicht zu erkennen.

Wie ist die Situation in Deutschland?

Die Argumentation der Kleinanleger in Deutschland deckt sich im Prinzip mit jener des US-Justizministeriums und mehrerer US-Bundesstaaten: Noch bis kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise im September 2008 hat die größte und mächtigste US-Ratingagentur Standard & Poor’s Wertpapiere, die eigentlich Schrott waren, mit Höchstnoten versehen. In den USA waren das Papiere auf der Basis von faulen Immobilienkrediten, in Deutschland Zertifikate der Investmentbank Lehman Brothers, die im September 2008 pleiteging und die Finanzkrise auslöste. Für etwa 50 000 Kleinanleger in Deutschland waren die vermeintlich sicheren Wertpapiere mit einem Schlag wertlos. Während etliche Sparer Banken und Sparkassen wegen fehlerhafter Beratung verklagten und zum Teil auch Recht und Schadensersatz bekamen, gehen einige mit Klagen auch gegen Standard & Poor’s in Deutschland vor.

Lange war nicht klar, ob Anleger in Deutschland überhaupt gegen die US-Firma juristisch vorgehen können. Mitte Januar hat der Bundesgerichtshof diesen Weg freigemacht. S&P-Sprecherin Doris Keicher gibt sich gelassen. „Es gibt ein paar in Deutschland anhängige Zivilklagen in Bezug auf unsere Ratings zu Lehman Brothers. Diese Klagen sind völlig unbegründet. Wir werden uns dagegen zur Wehr setzen“. Ob die Agentur letztlich zahlen muss, ist völlig offen. Vermutlich ist der Vorgang bereits verjährt. Trotzdem wäre ein Urteil gegen S&P nach Ansicht von Juristen wegweisend für die Zukunft.

Wie werden die Agenturen auf EU-Ebene kontrolliert?

Die EU hat sich mittlerweile auf schärfere Regeln für die Agenturen verständigt. Für grobe Fehlentscheidungen müssen sie künftig haften. Und sie müssen ihre Urteile sehr viel genauer begründen als bislang. Zudem sollen sie sich bei der Bewertung von Papieren wie Unternehmensanleihen oder Staatspapieren abwechseln. „Die Agenturen sind schon vorsichtiger geworden“, sagt ein Banker in Frankfurt. Die grundsätzlichen Probleme bestehen allerdings weiter: Nicht die Investoren, also die Käufer von Wertpapieren, bezahlen das Rating, sondern die Emittenten, also die Firmen und Staaten, die die Papiere ausgeben.

S&P und die anderen Ratingagenturen gelten als unverzichtbar. In allen Risikomodellen und Anlagebedingungen für Wertpapiere spielen die Bonitätsnoten eine wichtige Rolle. Seit Jahren gibt es Bemühungen eine eigene, unabhängige europäische Ratingagentur auf der Basis einer Stiftung aufzubauen, bei der nicht die Emittenten, sondern die Investoren zahlen. Eigentlich sollte sie längst am Start sein. Doch die notwendigen 300 Millionen Euro kamen bisher nicht zusammen.

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