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Nichts als das Leben gerettet: Flüchtlinge aus Syrien erreichen die Türkei.

© dpa

Flucht vor dem IS-Terror: Deutschland muss der Türkei beim Flüchtlingsproblem helfen

Die IS-Miliz wütet weiter. Bald könnten es zwei Millionen Menschen sein, die aus Syrien in die Türkei fliehen. Warum Deutschland der Türkei bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms unter die Arme greifen sollte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die Türkei ist Mitglied der westlichen Verteidigungsallianz. Es ist das einzige muslimische Land im Nahen Osten, das – mit all seinen Defiziten – demokratisch regiert wird. Als während der Wirtschaftswunderzeit in Deutschland die Arbeitskräfte knapp wurden, schloss die Bundesregierung Bonn ein Anwerbeabkommen, aufgrund dessen türkische Gastarbeiter einwanderten. Sie und ihre Nachkommen haben das Land geprägt. Nicht nur Edzard Reuter, Wulf Schönbohm und Christian Wulff stehen für die besonderen deutsch-türkischen Beziehungen. Vor diesem Hintergrund erhält eine aktuelle Frage hohe Brisanz: Tut Deutschland genug, um der Türkei zu helfen?

Allein in den vergangenen Tagen sind 140 000 Menschen aus Syrien in die Türkei geflohen, wo ohnehin bereits 1,5 Millionen Flüchtlinge untergekommen sind. Wegen des ungebremsten Wütens der terroristischen IS-Miliz rechnen die UN mit weiteren Hunderttausenden, die in der Türkei Zuflucht suchen. Die Türkei hat in etwa so viele Einwohner wie Deutschland. Was wäre wohl, wenn hier plötzlich zwei Millionen traumatisierte, mittellose Menschen aufgenommen werden sollten? Die Dimension der humanitären Katastrophe verlangt nach rascher, umfassender Hilfe. Innerhalb der Europäischen Union muss Deutschland sich zum Fürsprecher dieser Hilfe machen.

Auf eine Kumpanei zwischen Erdogan und den IS-Terroristen zu schließen, wäre absurd

Dagegen werden Einwände laut. Hat die Erdogan-Regierung die Dschihadisten womöglich erst stark gemacht? Werden die Grenzen ausreichend bewacht, damit die Türkei kein Transitland für ausländische IS-Sympathisanten ist? Warum ist die Türkei, im Gegensatz zu zehn arabischen Staaten, nicht der von US-Außenminister John Kerry initiierten Anti-IS-Allianz beigetreten? Die Fragen sind legitim, von ihnen aber auf eine Kumpanei zwischen Erdogan und den IS-Terroristen zu schließen, wäre absurd. Und zynisch.

Fehler wurden gemacht, das ist wahr. Als der Arabische Frühling ausbrach, witterte Erdogan die Chance, das türkische AKP-Modell – diese ganz spezielle Liaison aus Islam und Demokratie – exportieren zu können. Als der Anti-Despoten-Funke auf Syrien übersprang, den Anti-Assad-Kräften aber niemand beistehen wollte, sah sich Erdogan als Einziger in der Rolle des Rebellen-Unterstützers. Dabei verlor er aus dem Blick, dass die radikalen Gruppen langsam die Oberhand gewannen. Wie viele andere Länder auch überschätzte die Türkei die Verwundbarkeit des Assad-Regimes und unterschätzte die Gefahr islamistischer Militanz. Das sollte sich bitter rächen.

Auch der Nato-Bündnisfall könnte eintreten

Nun steckt Ankara in der Zwickmühle. Man will sowohl die Entstehung eines Kalifats in Syrien und dem Irak verhindern als auch die Entstehung eines kurdischen Staates, der türkische Gebiete umfasst. Aus diesem nicht unbedingt widerspruchsfreien Doppelinteresse erklärt sich das Zaudern, dem Anti- IS-Bündnis beizutreten. Wenn der Kampf gegen die IS-Terroristen auf die Türkei übergreift, dann könnte der Nato-Bündnisfall eintreten. Schon deswegen muss Deutschland jetzt alles tun, um das Land zu stabilisieren.

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