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Flüchtlinge vor einer Notunterkunft in Wegscheid (Bayern).

© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Der Preis der Menschlichkeit

Die Integration der Flüchtlinge wird mehr Geld kosten, als vielen klar ist. Jeder Deutsche muss wissen, wie das finanziert wird. Doch es darf kein sozialer Neid geschürt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Zu den Kontroversen in dieser Flüchtlingskrise gehören bisher vor allem Fragen von Sicherheit an den Landesgrenzen und von Veränderungen, die die Gesellschaft tragen kann. Jetzt drängt eine weitere an die Oberfläche, eine existenzielle. Jeder ist betroffen, was ihre Lösung politisch schwer macht. Es geht schlicht und kalt um den Preis der Menschlichkeit.

Deutschland bietet Tag für Tag tausenden notleidenden Flüchtlingen Schutz und verspricht Integration. Das wird weit mehr Geld kosten, als den meisten schon klar ist. Und auch, wenn das Land reich ist, so wird dieser Reichtum relativer mit jedem weiteren Flüchtling, der kommt. Man sollte sich also nichts vormachen: Das ist kein Fall für die Portokasse. Es wird jemanden geben müssen, der den Preis für Angela Merkels „Wir schaffen das“ bezahlen muss.

Man darf dem SPD-Vorsitzenden grundsätzlich danken, dass er die Kosten der Integration auf die Tagesordnung gehoben hat. Schon einmal war eine Regierung mutig genug, eine Jahrhundertaufgabe anzunehmen, aber zu feige, ihre Bevölkerung mit den ökonomischen Konsequenzen zu konfrontieren. Was aus diesem Fehler der Deutschen Einheit erwuchs, ist bis heute nicht verdaut: Strukturelle Löcher in den Sozialsystemen, die zum Ursprung sozialer Ungerechtigkeit wurden. Das darf sich nicht wiederholen. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister müssen endlich eine belastbare Rechnung für die Kosten von Bildung, Wohnen, Arbeitsintegration und die Begrenzung des Flüchtlingsstroms vorlegen.

Zeit für Wahrheiten

Was aber noch viel wichtiger ist: Die Deutschen haben ein Anrecht darauf zu erfahren, wie die Milliarden finanziert werden sollen, wer also dafür geradesteht. Werden es die Kinder sein, deren Lehrer schon jetzt Opfer von Sparprogrammen sind? Ist das Erwirtschaften von Haushaltsüberschüssen für Wolfgang Schäuble auch unter den Bedingungen dieser Krise sakrosankt, werden die Bildungschancen dieser Kinder damit noch schlechter, weil sie die überfüllten Klassen künftig auch noch mit Flüchtlingen teilen? Und wer zahlt den Krankenkassen die Kosten etwa für Traumabehandlungen der Flüchtenden, die absehbar kaum Beiträge erwirtschaften werden? Die schwarze Null, jetzt neue Schulden machen oder gar Steuererhöhungen, ein Integrationssoli also? Es wird Zeit für Wahrheiten.

Und zwar im Interesse nicht nur der die Regierung tragenden Parteien, sondern aller gesellschaftlichen Kräfte, die die Offenheit und Verantwortung Deutschlands für die Flüchtlinge stützen. Denn das Schüren von sozialem Neid birgt mindestens so viel Sprengstoff wie die Angst, von Fremden überrollt zu werden. Und es besorgt damit das Geschäft von AfD & Co. Umso unverantwortlicher ist es, wenn sich ausgerechnet der Vizekanzler, Sigmar Gabriel, nun zum Fürsprecher all jener macht, die schon immer unzufrieden waren mit dem Verfall des Rentensystems und dem Anwachsen von Kinderarmut. Mag sein, dass Gabriels SPD der eine oder andere dafür kurz vor den Landtagswahlen Beifall zollt. Eine Grenzüberschreitung ist es dennoch. Schließlich haben Flüchtlinge keine Schuld an niedrigen Renten und armen Kindern. Und vom Vorsitzenden der SPD darf man erwarten, dass er das offen ausspricht, statt sozialen Neid zu legitimieren und damit den Verteilungskampf zusätzlich zu befeuern.

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