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Ein Schüler in einer Vorbereitungsklasse.

© dpa

Flüchtlinge und Schule: Wie gut sind Schulen auf Flüchtlinge vorbereitet?

Hunderttausende Flüchtlingskinder müssen in den nächsten Jahren unterrichtet werden. Wie gut sind die Schulen darauf vorbereitet?

Die Kultusministerkonferenz (KMK) geht bisher davon aus, dass im Schuljahr 2014/2015 etwa 325.000 schulpflichtige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Die damit verbundenen Kosten werden mit 2,3 Milliarden Euro beziffert.

Wie viele neue Lehrer werden gebraucht?

Die KMK rechnet mit 20.000 zusätzlichen Lehrerstellen, die benötigt werden. Wie viele dieser Stellen die Länder schon aufgebaut haben, kann die KMK nicht sagen. Ein neuer dramatischer Lehrermangel sei aber nicht zu erkennen, sagt Sprecher Thorsten Heil. Ganz anders sieht das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Die Not ist relativ groß“, sagt die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. In den Ländern werde ein großer Teil der neuen Stellen mit Quereinsteigern besetzt. Auch würden in den Willkommensklassen die Größe der Klassen erhöht, die Unterrichtsstunden abgesenkt und Vertretungsreserven umgewidmet.

Berlin hat in den kommenden zwei Jahren einen Bedarf von zusätzlich 2000 Lehrkräften, erklärt Beate Stoffers, die Sprecherin der Bildungsverwaltung. Darin sind auch Lehrkräfte enthalten, die in den Willkommensklassen Deutsch als Fremdsprache (DaF) unterrichten, in denen im Moment 6700 Schüler sitzen. Während der Bedarf an DaF-Lehrern gut zu decken ist, wie Stoffers sagt, gibt es schon jetzt einen verschärften Mangel an Grundschullehrern. Wie stark die steigenden Schülerzahlen auf geflüchtete Schüler zurückgehen, ermittelt die Senatsverwaltung aber nicht. Wohl aber werde bei der Zuweisung von Fördermitteln berücksichtigt, wie viele Schüler Deutsch nicht als Herkunftssprache sprechen, sagt Stoffers.

Wie will der Bund den Ländern beim Thema Bildung und Flüchtlinge helfen?

Das Grundgesetz verbietet dem Bund, sich für die Schulen zu engagieren, etwa indem er Lehrerstellen oder Gebäude finanziert. Entsprechend umschifft das Bundesbildungsministerium die Schule bei seinen beiden neuen Maßnahmenpaketen: Eins fördert studieninteressierte Flüchtlinge in einem Umfang von 100 Millionen Euro. Das zweite, in das bis 2017 Millionen 130 Millionen Euro fließen sollen, fördert Maßnahmen der beruflichen Bildung und fürs Deutschlernen. Vielfach gewünscht wird jedoch – etwa auch von Brunhild Kurth, Kultusministerin in Sachsen und Präsidentin der Kultusministerkonferenz (CDU) –, der Bund möge Sozialarbeiter und Schulpsychologen finanzieren. Bisher lehnt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dies ab.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag einen großen Wurf gefordert: Das Kooperationsverbot im Grundgesetz müsse fallen, damit es zu einer „nationalen Bildungsallianz“ von Bund und Ländern kommen kann, mit der etwa der massive Ausbau der Ganztagsschule möglich wird. Selbst wenn das Grundgesetz nicht geändert wird, rechnet man in der SPD angesichts des wachsenden Leidensdrucks der Länder damit, dass der Bund mittelfristig ein milliardenschweres Paket zu ihrer Entlastung beschließt.

Was ist über die Voraussetzungen von Flüchtlingskindern bekannt?

Wie einheimische Kinder auch haben nach Deutschland geflüchtete Kinder ganz unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen. Manche leben in ihrer Heimat im Wohlstand, andere kommen dagegen aus extremer Armut. Gemeinsam ist ihnen allerdings die Fluchterfahrung. „Hier kommen massive Belastungen zusammen“, sagt Hanne Shah vom Zentrum für Trauma- und Konfliktmanagement in Köln. Viele Kinder sind traumatisiert oder leisten Trauerarbeit. Das äußert sich ganz unterschiedlich, was es für Pädagogen schwierig mache, sagt Shah. Wichtig sei in jedem Fall, dass sie Vertrauen zu einer Lehrkraft aufbauen können. Ein strukturierter Alltag in der Schule helfe ebenfalls.

Weniger hilfreich sei die Unterbringung in Sammelunterkünften: „Dort zu lernen ist ganz schwer möglich.“ Oft fallen die Eltern als Unterstützung aus – sind sie doch selber fremd in der Kultur. Droht Familien dauerhaft die Abschiebung, kann die Sorge um die Zukunft das Lernen ebenfalls behindern. Die GEW Berlin fordert deswegen einen Abschiebestopp für Familien.

Sind die muslimischen Kinder besonders anfällig für Radikalisierung?

„Die Allermeisten haben einen islamischen Hintergrund, sie kommen häufig aus Ländern mit einem Islamverständnis, nach dem etwa Frauen gesellschaftlich ausgegrenzt werden“, sagt Havva Engin, Leiterin des Heidelberger Instituts für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik an der dortigen Pädagogischen Hochschule. Ein staatlicher oder staatlich kontrollierter Islamunterricht, der die Gleichberechtigung aller Religionen und ein zeitgemäßes Bild vom Islam vermittelt, könne zur Integration beitragen. Doch geflüchtete Eltern und Kinder würden Islam-Unterricht womöglich kaum nachfragen. Viele gehörten zu religiösen Minderheiten, sähen sich in den Konflikten in ihrer Heimat eher zwischen den Fronten.

Die Aufgabe der Integration dürfe ohnehin nicht auf den Religionsunterricht abgeschoben werden, sagt Engin. Kindern und Jugendlichen das Gefühl zu geben, in der deutschen Gesellschaft willkommen zu sein und ihnen gleichzeitig „die ethischen Grundwerte, auf die wir uns geeinigt haben“ zu vermitteln, sei eine Aufgabe für alle Lehrkräfte und für die ganze Gesellschaft. Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland, hält die Gefahr der Radikalisierung jugendlicher Flüchtlinge für „stark übertrieben“: „Sie kommen doch nach Europa, weil sie sich hier Freiheiten versprechen.“ Gerade die große Gruppe Syrer gelte als weltoffen. Gleichwohl sei es sinnvoll, Flüchtlingskinder in den regulären Islamunterricht zu integrieren.

Welche Rolle spielt der Antisemitismus?

„Viele Flüchtlinge stammen aus Gesellschaften, in denen Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit propagiert werden“, hat Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kürzlich erklärt. Flüchtlingen müsse daher von Beginn an deutlich gemacht werden, „dass solche Einstellungen der deutschen Staatsraison widersprechen und in unserem Land keinen Platz haben“. Jetzt wollen Zentralrat und KMK eine gemeinsame Unterrichtsempfehlung für die Vermittlung jüdischer Kultur und Geschichte sowie des Holocausts erarbeiten. Jüdisches Leben solle auch jenseits der Verfolgungs- und Opfergeschichte erzählt werden, erklärte Schuster. Und die Shoa müsse didaktisch so aufbereitet werden, dass Lehrkräfte „mit dem Thema die junge Generation, auch mit Blick auf unsere Einwanderungsgesellschaft, erreichen können“.

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