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Syrische Flüchtlinge in der Türkei.

© dpa

Update

Flüchtlingspakt mit der EU: Türkei verweigert Flüchtlingen Ausreise nach Deutschland

Die Türkei verweigert syrischen Flüchtlingen die Ausreise, obwohl sie ein Visum für Deutschland haben. Fachkräfte werden gezwungen, im Land zu bleiben, wo viele von ihnen gar nicht arbeiten dürfen.

Der Traum der syrischen Flüchtlinge ist fast schon Wirklichkeit: Sie sind von der türkischen Migrationsbehörde (DGMM) ausgewählt worden, im Rahmen des Flüchtlingspakts in die EU überzusiedeln. Sie haben die Prüfungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und der Bundesbehörden durchlaufen und Visa für Deutschland bekommen. Die Migranten sind bereits auf einen Flug gebucht, das einzige, was noch fehlt: Die Ausreisegenehmigung der türkischen Behörden. Und die wird ihnen wenige Meter vor dem Ziel verweigert. In mehr als 50 Fällen ist genau das in den vergangenen Wochen geschehen.

Beim umstrittenen Flüchtlingspakt wurde am 18. März vereinbart, dass die Türkei Flüchtlinge zurücknimmt, die illegal auf die griechischen Ägäis-Inseln übersetzen. Dafür hat sich die EU unter anderem dazu verpflichtet, für jeden von der Türkei zurückgenommenen Syrer einen anderen Syrer legal aufzunehmen. Die meisten der Flüchtlinge in diesem sogenannten 1:1-Mechanismus kommen nach Deutschland. Bislang siedelten 292 Syrer auf diesem Weg legal in die Bundesrepublik über. 52 weitere erhielten aber nach Angaben des Bundesinnenministeriums die sogenannten „Exit Visa“ nicht - und zwar ohne Angabe von Gründen.

An der Ausreisegenehmigung aus der Türkei scheiterte also gut jeder siebte Flüchtling, der bereits eine Einreisegenehmigung für Deutschland bekommen hat. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen muss das ein weiteres traumatisches Erlebnis sein. Der „Spiegel“ hatte bereits im vergangenen Monat berichtet, dass die Türkei Fachkräften unter den Flüchtlingen die Ausreise verweigert. UNHCR hat die Türkei dazu aufgerufen, gut ausgebildeten Syrern wie Ingenieuren oder Ärzten nicht die Weiterreise in die EU zu verwehren.

Deutschland und andere EU-Staaten haben keinen Einfluss auf Auswahl

DGMM, also dieselbe Behörde, die die Syrer überhaupt erst auf die Ausreiseliste setzt, verhindert die Ausreise in letzter Minute. Schon das Zustandekommen dieser Liste ist intransparent. Das türkische Außenministerium teilte beim Anlaufen des 1:1-Mechanismus nur mit, „Vulnerability Criteria“ („Schutzlosigkeitskriterien“) der Vereinten Nationen würden dabei berücksichtigt. DGMM erhält Namen von Flüchtlingen von den Ablegern der Behörde in den Provinzen und erstellt auf dieser Basis die Ausreiseliste. Deutschland und die anderen EU-Staaten haben keinen Einfluss darauf, wer ausgewählt wird - und wissen im Detail auch gar nicht, wie ausgewählt wird. Die Liste geht dann an UNHCR.

Das Flüchtlingshilfswerk überprüft, ob die Flüchtlinge tatsächlich den Kriterien entsprechen, und ordnet sie verschiedenen EU-Staaten zu - zum Beispiel Deutschland. Die deutschen Behörden überprüfen den Flüchtling dann erneut (liegen Papiere vor? Besteht ein Sicherheitsrisiko?). Ein gewaltiger bürokratischer Aufwand. Nach erfolgreicher Überprüfung wird das Visum erteilt, der Flug gebucht und bezahlt - und die Ausreisegenehmigung beantragt. Eine Anfrage bei DGMM zum Thema blieb unbeantwortet. Die Verweigerung der „Exit Visa“ sorgt nicht nur für Unmut auf der deutschen Seite: 23 EU-Staaten haben sich bereiterklärt, über den 1:1-Mechanismus Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen.

Hochqualifizierte Flüchtlinge sollen nicht ausreisen

Kaum verwunderlich also, dass sich in der vergangene Woche irritierte EU-Vertreter mit DGMM-Repräsentanten in Ankara zu diesem Thema trafen. Aus EU-Kreisen heißt es, die türkische Seite habe bei dem Treffen zugegeben, dass Hochqualifizierte auf Weisung „von hoher politischer Ebene“ nicht ausreisen sollten. Und die Türken hätten eingeräumt, dass sie erst beim Antrag auf Ausreisegenehmigung die berufliche Qualifikation des Flüchtlings prüften. Das solle künftig bereits früher - also am Anfang statt am Ende des Prozesses - geschehen.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen, warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angesichts der verweigerten Ausreisegenehmigungen „gezielte Willkür“ vor. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte: „Der EU-Türkei-Deal wird von Tag zu Tag fragwürdiger.“ Der Europarat forderte, den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei zu überdenken. Die Rücksendung von Migranten, die von der Türkei aus die griechischen Inseln erreichen, erscheine unvereinbar mit europäischem und internationalem Recht, heißt es in einer Resolution, die die parlamentarische Versammlung des Europarats am Dienstag in Straßburg beschloss.

Die Türkei nahm offiziell drei Millionen Flüchtlinge auf

Der im März geschlossene Flüchtlingspakt sieht vor, dass die Türkei für jeden Syrer, den sie von den griechischen Ägäis-Inseln zurücknimmt, einen anderen Syrer auf legalem Weg in die EU schicken darf. Die EU hat sich bereit erklärt, über diesen sogenannten 1:1-Mechanismus bis zu 72 000 Syrer aufzunehmen.
Bereits im vergangenen Monat hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Türkei aufgerufen, gut ausgebildeten Syrern wie Ingenieuren oder Ärzten nicht die Weiterreise in die EU zu verwehren. Der „Spiegel“ hatte berichtet, die Türkei lasse im Zuge des Flüchtlingspakts keine gut ausgebildeten Syrer wie Ingenieure, Ärzte oder Facharbeiter in die EU ausreisen. Stattdessen schicke Ankara viele „schwere medizinische Fälle oder Flüchtlinge mit sehr niedriger Bildung“. Nach offiziellen Angaben hat die Türkei knapp drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen - mehr als jedes andere Land der Welt. (dpa)

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