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Justiz: Flut an Klagen gegen Hartz IV in Berlin

Hartz IV bleibt ein Dauerbrenner. Die Linkspartei wünscht sich „mehr Unruhe“, die Union lobt „beachtliche Fortschritte“ in der Sozialpolitik.

Von Matthias Meisner

Der Aktenberg an Deutschlands größtem Sozialgericht in Berlin wird nicht kleiner. „Wir sind ein effizient arbeitendes Gericht, doch die Flut an Hartz-IV-Klagen ebbt nicht wesentlich ab“, sagte Richter Marcus Howe. Zugleich wurde bekannt, dass immer mehr ältere Arbeitslose keine neue Stelle finden und dann von Hartz IV leben müssen. Die Politik reagiert mit gegensätzlichen Empfehlungen: Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger fordert „mehr Unruhe“ und wirft den Gewerkschaften vor, nicht offensiv genug die Proteste gegen eine falsche Sozialpolitik zu unterstützen. Der CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß dagegen meint, mit den jüngsten Änderungen bei der Sozialgesetzgebung seien „ganz beachtliche Fortschritte“ erzielt worden.

Riexinger sagte dem Tagesspiegel, es ärgere ihn, wenn Gewerkschaftsfunktionäre wie Berthold Huber oder Michael Sommer für eine große Koalition im Bund plädierten. „Damit blockieren sie einen Politikwechsel.“ Dass die Proteste gegen die Krise – anders als etwa in Griechenland – keine Massenbewegung seien, erklärt Riexinger so: „Hier wird alles scheibchenweise dosiert, Lohnabbau, Rentenkürzung, Prekarisierung. Das macht den organisierten Widerstand schwerer.“ Der Linken-Chef fürchtet, die Proteste in anderen Ländern würden eine antideutsche Richtung bekommen, „das ist beunruhigend“. SPD und Grünen hielt er vor, die Wähler zu betrügen, wenn sie eine soziale Politik versprechen und die Linke ausgrenzen: „Es ist völlig aussichtslos, dass diese beiden Parteien im Herbst allein auf eine Regierungsmehrheit kommen.“

Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe in der CDU/CSU-Fraktion, verwies auf die jüngste Organisationsreform, die den Arbeitsagenturen ein verlässliches Stammpersonal sichere. Langzeitarbeitslose seien 2012 verstärkt in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden, „eine erfreuliche Tatsache“. Dass die bundesweit rund sechs Millionen Empfänger von Hartz-IV-Leistungen von 2013 an monatlich fünf bis acht Euro mehr bekommen, findet Weiß in Ordnung. Der Regelsatz für einen Single steigt dann von 374 auf 382 Euro. Möglicherweise, erwartet Weiß, werde es künftig sogar Diskussionen geben, warum Hartz IV prozentual höher steige als etwa Renten und Löhne. Er ist gegen weitere Gesetzesänderungen. „Wir müssen erstmal schauen, wie die Neuregelungen wirklich wirken“, sagte Weiß dem Tagesspiegel.

Laut Berliner Sozialgericht gab es seit der Einführung von Hartz IV mehr als 50 Änderungen. In Berlin werde 2012 bis Ende Dezember mit etwa 29000 Klagen gerechnet. Richter Howe erklärte: „Wir müssten das Gericht für ein Jahr schließen, um die Klagen abzuarbeiten.“ Viele Betroffene wenden sich wegen fehlerhafter Bescheide oder Untätigkeit der Jobcenter an das Gericht – etwa, wenn Anträge nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurden. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, schlug eine neue Regelung für Arbeitnehmer mit Kurzzeitjobs vor. Sie sollen künftig schon nach einem halben statt einem Jahr das zumeist höhere Arbeitslosengeld I bekommen. In den vergangenen zwölf Monaten waren mehr als 700000 Männer und Frauen gleich mit der Arbeitslosigkeit in Hartz IV abgerutscht. (mit dpa)

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