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Proteste gegen Folter gab es rund um den Globus - hier in München.

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Folter im Irak: Großbritannien soll wegen Kriegsverbrechen vor Gericht

Menschenrechtsorganisationen zeigten Großbritannien wegen "systematischer Folter" vor dem internationalen Strafgerichtshof an. Britische Streitkräfte hätten im Irak Gefangene gefoltert. Mit einem Prozess könne Den Haag auch seine Glaubwürdigkeit beweisen, sagten die Menschenrechtsorganisationen.

Menschenrechtsorganisationen haben Großbritannien wegen „systematischer Folter“ vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angezeigt. In einem umfassenden Dossier haben Menschenrechtsorganisationen der britischen Armee die „systematische Folterung“ irakischer Kriegsgefangenen zwischen 2003 und 2008 im Irak vorgeworfen und wollen mit einer Anzeige beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag die Anklage der „hochrangigen zivilen und militärischen Verantwortlichen“ erwirken.

Unter anderem sollen sich der frühere britische Armeechef Sir Peter Wall und der ehemalige Verteidigungsminister Geoff Hoon dafür verantworten, dass Hunderte von Irakern in britisch geführten Gefangenenlagern und bei Verhören gefoltert worden seien. Obwohl diese Vorwürfe den britischen Behörden bekannt seien, verweigerten diese sich seit Jahren „der erforderlichen strafrechtlichen Aufarbeitung“.

Das Dossier, zusammengestellt von der englischen Rechtsanwaltskammer PIL (Public Interest Lawyers) und der Berliner Menschenrechtsorganisation European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR)  belegt mit Zeugenaussagen von 109 ehemaligen irakischen Gefangenen „Brutalität, verbunden mit Grausamkeit und Formen des Sadismus, einschließlich sexuellem Missbrauch und religiöser Erniedrigung“.

De facto wird den britischen Streitkräften vorgeworfen, die berüchtigten „fünf Techniken“ wiederbelebt zu haben, die in den sechziger Jahren in nordirischen Internierungslagern entwickelt, aber 1972 offiziell verboten wurden   - langes an die Wand Stellen, „Hooding“ zur Sichtberaubung, Lärm, Schlafentzug, Entzug von Essen und Trinken.

„Wir foltern die Leute, aber keiner gibt es zu“

Der Gründer von PIL, der englische Anwalt Phil Shiner, arbeitet seit fast zehn Jahren für Iraker, die den Briten Misshandlung und Missbrauch vorwerfen. „Wir foltern die Leute, aber keiner gibt es zu“, sagt Shiner zu seinem Kampf. Er war die treibende Kraft hinter den zwei umfassendsten britischen Anhörungen wegen Menschenrechts-Verstößen im Irak, der „Baha Mousa Inquiry“, bei der es um den Tod eines Irakers in britischem Armeegewahrsam ging und der noch laufenden „al-Seady Inquiry“, bei der eine Armee Einheit im Mittelpunkt steht, die in der “Battle of Danny Boy“ in einen Hinterhalt geriet, schwere Verluste erlitt, dann Gefangene nahm und einige den Vorwürfen nach misshandelte und ermordete. Im November erzwang Shiner vor einem britischen Gericht, dass elf Todesfällen von Gefangenen in britischem Gewahrsam als Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention untersucht werden, die Teil des britischen Rechtssystems ist.

Außenminister William Hague wies Vorwürfe von systematischem Missbrauch im Sender Sky News zurück: “Es gab einige Fälle, für die wir uns entschuldigt und Entschädigung bezahlt haben. Die britischen Streitkräfte  haben hohe Standards und sind die feinsten Streitkräfte in der Welt.“ Auch das britische Verteidigungsministerium nannte die Anzeige beim IStGH als „überflüssig“. Die Angelegenheiten seien „Gegenstand von Ermittlungen in Großbritannien oder wurden bereits abgehandelt“.

Doch laut dem ECCHR dienen die britischen Ermittlungen nur der „Schadensbegrenzung“, in dem einige „vermeintlich fehlgeleitete Soldaten unterer  Dienstgrade als Sündenböcke präsentiert“ werden. Mit einer Anklage soll der IStGH den Menschenrechtsorganisationen zufolge auch zeigen, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen wird – bisher wurden in Den Haag nur Vertreter Afrikas angeklagt.

Bedrohung der Soldaten-Moral

Eine Flut von Gerichtsverfahren und Untersuchungen – zu denen auch die große Irakkriegs Untersuchung von Richter Chilcot gehört, die in diesem Jahr ihren Abschlussbericht vorlegen soll - zeigt, wie schwer die Briten am Erbe der Kriege im Irak und in Afghanistan tragen. Im Dezember löste das Mordurteil gegen einen Soldaten, der einen schwer verletzten Taliban Kämpfer in Afghanistan erschoss, statt ihm erste Hilfe zu geben, eine riesige Debatte aus.

Medienkommentatoren und Armeeangehörige warnen davor, Zivilgesetze auf den Kriegsschauplatz zu übertragen. „Für Rechtsanwälte mag dies eine Goldader sein, für Soldaten ist es eine Bedrohung ihrer Moral“, warnte der Daily Telegraph. Der ehemalige Irakkrieg Offizier Tim Collins bezeichnete es als „nicht machbar, wenn man Gesetze, die auf einem Jahrmarkt gelten, auf die Streitkräfte Ihrer Majestät überträgt“.

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