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Auf der Siegerstraße. Präsident François Hollande und die Parteichefin der Sozialisten, Martine Aubry.

© Reuters

Frankreich: Hollande will durchregieren

In Frankreich könnten die Sozialisten erstmals beide Parlamentskammern beherrschen – doch das Bild der linken Übermacht täuscht.

Frankreichs sozialistischer Premierminister Jean-Marc Ayrault hat auf den Ausgang der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich mit verhaltenem Optimismus reagiert. „Der Wandel hat erst begonnen“, sagte er nach dem ersten Wahlgang, „wir müssen jetzt dafür sorgen, dass er dauerhaft Gestalt annimmt“. Ayrault selbst wurde in der westfranzösischen Stadt Nantes am Sonntag mit 56 Prozent der Stimmen auf Anhieb wiedergewählt. Sein konservativer Vorgänger François Fillon muss sich dagegen in seinem Pariser Wahlkreis, wo er 48,6 Prozent erhielt, am kommenden Sonntag zur Stichwahl stellen.

Von den 36 der 577 Wahlkreise, in denen Kandidaten am Sonntag die im ersten Durchgang erforderliche absolute Mehrheit für den Einzug in die Nationalversammlung erreichten, gingen 22 an Sozialisten – neben Ayrault gehören zwei weitere Regierungsmitglieder dazu. Die übrigen 24 Kabinettsmitglieder, die sich ebenfalls zur Wahl stellten, haben entgegen ursprünglichen Prognosen gute Aussichten, in der zweiten Runde durchzukommen. Dagegen müssen sich ehemalige Angehörige der früheren konservativen Regierung angesichts der Resultate des ersten Wahlgangs Sorgen um ihre politische Zukunft machen.

Staatschef François Hollande äußerte sich nicht zum Wahlausgang. Aber er kann aufatmen. Er wird sich in den nächsten fünf Jahren auf eine klare linke Mehrheit im künftigen Parlament stützen können. Wenn die Projektionen der Wahlforscher bei der Sitzverteilung zutreffen, dann könnten die Sozialisten sogar im zweiten Wahlgang zu einer absoluten Mehrheit der insgesamt 577 Sitze in der Nationalversammlung kommen. Käme es so, dann wäre die Partei von François Hollande, anders als am Wahlabend zunächst vermutet, doch nicht auf die Grünen oder die Linksfront angewiesen. In diesem Fall hätten die Sozialisten erstmals seit Gründung der Fünften Republik 1958 die Mehrheit auf allen institutionellen Ebenen: im Parlament, wo sie schon jetzt die Mehrheit im Senat haben, in 21 der 22 französischen Regionen, in zwei Dritteln der Departements sowie in den meisten Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern.

Doch das Bild einer linken Übermacht täuscht. Frankreich bleibt auch nach dieser Wahl politisch zweigeteilt. Linke und Rechte stehen sich gleich stark gegenüber. Zusammen mit Grünen und Linksfront kamen die Sozialisten auf 46,95 Prozent, die konservative bisherige Regierungspartei UMP unter Hinzurechnung der rechtsradikalen Front National (FN) auf 48,45 Prozent. Die Annahme, das Verhältnis zwischen der gemäßigten Linken und der gemäßigten Rechten könnte sich entkrampfen, hat sich nicht erfüllt. Unter dem Eindruck des gewachsenen Gewichts der ausländer- und europafeindlichen Rechtspopulisten des Front National von Marine Le Pen haben sich die Fronten zwischen links und rechts verhärtet. Die Frage nach dem Verhältnis zur Nationalen Front ist nach deren neuem Erfolg vom Sonntag zum beherrschenden Streitpunkt zwischen Sozialisten und UMP geworden.

In 61 Wahlkreisen haben Kandidaten des Front National die Hürde zur Stichwahl genommen. Dabei wird es in 32 Wahlkreisen zu einer Dreieckswahl zwischen einem Sozialisten, einem Konservativen und einem Rechtsextremen kommen, in 29 zu Duellen zwischen einem FN-Kandidaten und einem Bewerber der gemäßigten Parteien. Bisher galt für diese Fälle die Regel, dass die gemäßigten Parteien ihren aussichtslosen Bewerber zurückzogen und den Wählern die Stimmabgabe für den Besserplatzierten empfahlen, um die Wahl des FN-Kandidaten zu verhindern. Dieser Pakt war bei der Kantonalwahl 2011 vom früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy aufgekündigt worden.

Diese Position hatte damals der frühere Premierminister François Fillon kritisiert. Am Sonntag vollzogen der Parteichef der UMP, Jean-Francois Copé, und Fillon jedoch eine Wende. Sie würden niemals zur Wahl der Nationalen Front aufrufen, sagten beide, fügten jedoch hinzu: „Aber auch nicht für sozialistische Kandidaten, die sich offen mit der Linksfront verbünden.“ Die Abgrenzung der UMP gegenüber der Nationalen Front, die Sarkozy mit seinen Anleihen an deren ideologisches Arsenal aufweichte, ist längst nicht mehr wasserdicht. Der Chefin der Front National, Marine Le Pen, wird es jedoch kaum nützen. Sie kam in ihrem Wahlkreis im nordfranzösischen Wahlkreis Hénin-Beaumont zwar auf 42 Prozent – allerdings muss sie damit rechnen, in der Stichwahl gegen den Kandidaten der Sozialisten zu unterliegen.

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