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Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sind in der Libyen-Krise völlig unterschiedlicher Meinung. Aber nicht nur da. Der deutsch-französische Motor funktioniert hingegen derzeit vor allem dann, wenn es um die Euro-Rettung geht. Fotos: AFP

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Libyeneinsatz: Frankreich spottet über Deutschland

Frankreich spottet über Deutschlands Angebot, sich in Libyen an einem humanitären Einsatz zu beteiligen. Die deutsche Offerte sei eine Art "mündliche Nachprüfung", ätzte Verteidigungsminister Gérard Longuet.

Berlin - Wenn sich Außenminister Guido Westerwelle und sein französischer Amtskollege Alain Juppé an diesem Donnerstag im Berliner Außenamt treffen, dann dürfte den Diplomaten in Deutschland und Frankreich ein Stein vom Herzen fallen. Denn es hat lange gedauert, bevor Juppés Antrittsbesuch in Berlin an diesem Donnerstag endgültig zustande kam – lange zumindest für deutsch-französische Verhältnisse, wo eine möglichst rasche Visite neuer Chefdiplomaten auf der jeweils anderen Seite des Rheins zum guten Ton gehört.

Dass der Ende Februar zum Außenminister ernannte Juppé erst jetzt nach Berlin kommt, hängt vor allem mit dem militärischen Einsatz in Libyen zusammen: Deutschland und Frankreich liegen seit Wochen wegen der Libyen-Politik über Kreuz. Daran hat auch die Ankündigung der Bundesregierung, sich an einer militärischen Absicherung eines humanitären EU-Einsatzes in Libyen zu beteiligen, nichts geändert. Das Angebot Westerwelles zur Teilnahme an einer humanitären Mission wurde in dieser Woche in der Pariser Nationalversammlung mit Spott bedacht. Die Berliner Offerte sei eine Art „mündliche Nachprüfung“, ätzte dort Verteidigungsminister Gérard Longuet am Dienstag.

Aus französischer Sicht ist Deutschland beim eigentlichen Examen in der Libyen-Frage nämlich bereits durchgefallen. Zur Vorgeschichte des Treffens am Donnerstag zwischen Westerwelle und Juppé gehört schließlich ein Tag im vergangenen Monat, an dem sich die Ereignisse in der Welt der Diplomatie überschlugen. Es war der 17. März, und eigentlich hätte Frankreichs neuer Außenminister am Mittag zu einem Tête-à-tête mit Westerwelle nach Berlin kommen sollen. Stattdessen schickte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy seinen Chefdiplomaten nach New York, wo Juppé für die UN-Resolution 1973 werben sollte, die am Abend jenes Tages im UN-Sicherheitsrat dann auch verabschiedet wurde und seither die Luftschläge gegen Truppen des libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi ermöglicht. Bekanntlich enthielt sich Deutschland der Stimme.

Merkel und Sarkozy auf getrennten Wegen?

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„Das hat in Frankreich für Verbitterung gesorgt“, fasst Hans Stark, der Leiter des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) in Paris, die politische Reaktion in Paris auf die deutsche Enthaltung zusammen. „Dass Deutschland mit seinem ganzen wirtschaftlichen und politischen Gewicht nicht hinter dem Libyen-Einsatz steht, ist in Frankreich nicht verstanden worden.“ Stark räumt zwar ein, dass sich Kanzlerin Angela Merkel angesichts des schon seit knapp vier Wochen hinziehenden Einsatzes in Libyen in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen könne, dass die vor allem von Sarkozy initiierte Mission nicht durchdacht gewesen sei. Allerdings ist er auch heute noch angesichts der Bedrohung, der sich die Zivilbevölkerung im libyschen Bengasi Mitte März durch die Gaddafi-Truppen ausgesetzt sah, überzeugt: „Es war richtig, zu agieren.“

Von einer Krise im deutsch-französischen Verhältnis wegen des deutschen Abstimmungsverhaltens im Sicherheitsrat will Stark zwar nicht sprechen – dafür sei die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten gerade bei der Bewältigung der Schuldenkrise im Euro-Raum zu eng. „Aber es gibt einen Teilbereich in den deutsch-französischen Beziehungen, der sich abflacht – und das ist das Militärische“, sagt der Experte. Nicht erst seit der deutschen Enthaltung in New York gebe es in der Frage der Sicherheitspolitik eine „Entfremdung zwischen Deutschland und Frankreich“.

Die Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin, Claire Demesmay, macht für die derzeitige Malaise im Verhältnis zwischen Paris und Berlin zum Teil auch Westerwelle direkt verantwortlich. Dass es zur Enthaltung Deutschlands bei den Vereinten Nationen kam, habe auch mit der Person des deutschen Außenministers zu tun, analysiert die DGAP-Expertin. Westerwelles Pariser Amtskollegen treffe hingegen weniger Schuld, wenn es derzeit zwischen beiden Ländern knirsche: „Juppé ist nach Deutschland orientiert, kennt das Land ziemlich gut und ist sehr offen für die Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin“, sagt Demesmay.

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok erhofft sich von der Begegnung des deutschen Außenministers mit seinem Pariser Amtskollegen derweil eine Klärung nach dem Zerwürfnis in der Libyen-Frage. Westerwelle müsse Juppé deutlich machen, dass hinter der Enthaltung im Sicherheitsrat „keine langfristige, grundsätzliche Veränderung der deutschen Außenpolitik“ stecke. Anderenfalls komme die Bundesregierung „in eine Isolierung hinein“, befürchtet der Brüsseler Abgeordnete.

Erschwert wird das Treffen Juppés und Westerwelles aber auch von der Tatsache, dass ein weiteres Thema einen Keil zwischen Berlin und Paris treibt – Merkels Schwenk in der Atompolitik. Das Moratorium der Kanzlerin nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima stößt bei vielen französischen Politikern auf Unverständnis. Dies hat in dieser Woche bei einem Berlin-Besuch eine Delegation des Finanzausschusses des französischen Senats deutlich gemacht. Dessen Vorsitzender, der ehemalige Finanzminister Jean Arthuis, macht kein Hehl aus seiner Entgeisterung angesichts des deutschen Kurswechsels bei der Kernkraft. Es gehe nicht an, wenn man in Europa „Land für Land“ eine unterschiedliche Haltung zur Nukleartechnologie einnehme, kritisiert Arthuis die deutsche Atomwende. Es stelle sich die Frage, welche Folgen die Beschleunigung beim Atomausstieg auf die Berliner Haushaltspolitik haben werde, meint Arthuis mit Blick auf die gemeinsamen Sparanstrengungen in Deutschland und Frankreich. Offenbar ist auch auf dem Feld der Atompolitik das letzte Wort zwischen beiden Ländern noch nicht gesprochen.

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