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Frankreich: Stillstand als Programm

Frankreichs Gewerkschaftschefs suchen im Streit um Frührenten eine Lösung – doch die Arbeiter wollen streiken.

Berlin - Als in der vergangenen Woche in Deutschland der „größte Streik in der Geschichte der Bahn“ den Schienentransport blockierte, da hielten sich die Auswirkungen im Personenfernverkehr in überschaubaren Grenzen. Ganz anders in Frankreich: Dort streikten die Eisenbahner am Sonntag bereits am fünften Tag in Folge. Reisende, die den Hochgeschwindigkeitszug TGV nehmen wollten, schauten auch am Wochenende häufig in die Röhre. Von 700 TGV-Zügen, die sonst eingesetzt werden, fuhren am Sonntag gerade einmal 250. Und wer mit der Metro in Paris unterwegs ist, dem bietet sich seit Tagen das gleiche Bild: Gedränge auf den Bahnsteigen, überfüllte Abteile, genervte Mitreisende.

Nach Umfragen hat die Mehrheit der Franzosen kein Verständnis für die Arbeitsniederlegungen, mit denen die Streikenden Rentenprivilegien in Staatsbetrieben bewahren wollen. Wer in Frankreich als Lokführer arbeitet, kann schon mit 50 ohne Abschläge in Rente gehen. Den Gas- und Elektrizitätswerkern ermöglicht die Sonderregelung die volle Rente mit 55 Jahren. Präsident Nicolas Sarkozy will die Sonderrenten abschaffen, und dabei kann er sich der Unterstützung der meisten Franzosen sicher sein. Am Sonntag forderten in Paris mehrere Tausend Demonstranten die Eisenbahner auf, die Streiks zu beenden. Die Demonstranten protestierten gleichzeitig gegen Blockadeaktionen an zahlreichen Universitäten. Dort verlangen Studenten, dass der Präsident eine Uni-Reform wieder rückgängig macht.

Wenn es nach der Gewerkschaftsbasis geht, dann sollen sich die Proteste gegen Sarkozys Reformen in dieser Woche noch ausweiten. Am Dienstag wollen auch Beamte, Lehrer und Postler für höhere Löhne und gegen Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst streiken.

Angesichts der Streikbereitschaft der Basis haben es in diesen Tagen Gewerkschaftsführer wie Bernard Thibault schwer. Thibault ist Chef der „Confédération Générale du Travail“ (CGT), der zweitgrößten Gewerkschaft Frankreichs. Obwohl die CGT traditionell weit links steht, gilt Thibault als Modernisierer. Im Konflikt um die Rentenprivilegien machte er der Regierung das Zugeständnis, getrennt nach Unternehmen über die Sonderregelungen zu sprechen. Die CGT-Basis sieht in Thibaults Angebot allerdings eine Schwächung der eigenen Verhandlungsposition. Am Sonntagabend beschloss die CGT gemeinsam mit fünf weiteren Gewerkschaften, den Bahnstreik noch einmal um 24 Stunden zu verlängern. Gleichzeitig wollen die Gewerkschaften am Mittwoch an einem Treffen mit den Arbeitgebern teilnehmen.

Einen Punktsieg bei dem Kräftemessen mit den Gewerkschaften hat Sarkozy schon verbucht: Der Ausstand bei den Strom- und Gasversorgern EDF und GDF ist so gut wie beendet. Noch am Mittwoch hatte mehr als ein Drittel der Beschäftigten bei den Energiekonzernen den Streikaufruf befolgt. Zwei Tage später war der Ausstand in sich zusammengefallen. Ab heute wollen Vertreter der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und des Staates über die Frührenten der Elektrizitäts- und Gaswerker verhandeln.

Die Pariser Verkehrsbetriebe hingegen stellen sich für diesen Montag wieder auf große Lücken im Fahrplan ein – nur jede fünfte Metro dürfte fahren. Nach Angaben der Bahngesellschaft RATP hat der Streik das Unternehmen bisher 24 Millionen Euro gekostet.

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