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Schwierige Integration. Die Pariser Vorstadt Nanterre, die von zahlreichen arabischstämmigen Zuwanderern geprägt ist.

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Frankreich und Merkel: "Die deutsche Flüchtlingspolitik wird unter der Hand kritisiert"

In Frankreich wird Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik nicht erst seit den Kölner Ereignissen kritisch gesehen. Hans Stark, der Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) in Paris, sieht bei den regierenden Sozialisten einen inneren Konflikt: Aus ideologischer Sicht sehen sie Merkel als Retterin der europäischen Zivilisation, andererseits befürchten sie eine Zunahme der Terrorgefahr.

Herr Stark, wie reagiert man in Frankreich auf die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht?

Das Echo in den hiesigen Medien ist sehr groß. In Frankreich wird sehr genau beobachtet, wie sich die Diskussion in Deutschland entwickelt: Kippt die Stimmung? Gibt es Konsequenzen in der Flüchtlingspolitik?

Gilt der deutsche Kurs bei der Flüchtlingspolitik in Frankreich als blauäugig?

Ja, natürlich. Der Vorwurf der Blauäugigkeit hängt insbesondere mit der in Frankreich vorherrschenden Einschätzung zusammen, dass die Willkommenskultur in Deutschland die Menschen erst aufgefordert hat, nach Europa zu kommen. Durch die Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, hätten sich dieser Lesart zufolge noch viel mehr Menschen entschlossen, die Reise über das Mittelmeer anzutreten, als dies normalerweise der Fall gewesen wäre.

Wie sollen die verantwortlichen politischen Parteien das Thema der sexuellen Übergriffe behandeln, ohne damit Wasser auf die Mühlen rechtspopulistischer Parteien wie des Front National zu lenken? Sollen die möglichen Ursachen für die Übergriffe – die in Nordafrika existierende Praxis der Attacken, die unter dem Namen „taharrush gamea“ bekannt sind, oder der sexuelle Notstand einer Minderheit der jungen Männer – thematisiert werden?

In der Tat würde man sehr schnell in der rechtspopulistischen Ecke landen, wenn man einen direkten Zusammenhang zwischen frustrierter Sexualität und jungen arabischen Männern herstellen würde. Auf der anderen Seite ist es aber auch notwendig, dass man, wenn man schon ein Land so weit öffnet wie Deutschland, mit den Zuwanderern bestimmte Verhaltensregeln diskutiert. Vielleicht muss auch in Deutschland die Frage des Islam breiter debattiert werden. Dies fängt in Deutschland - beispielsweise in den Medien – erst sehr langsam an.

Auf welche Punkte kommt es bei dieser Diskussion über den Islam an?
Der Islam hat sich in den letzten 30 bis 40 Jahren stark verändert. Er ist auch als Folge der Revolution im Iran stärker unter saudi-arabischen Einfluss geraten. Der Islam ist härter und rigider geworden in Bezug auf Frauenrechte. Diese Dinge muss man ansprechen, gerade wenn man das Zusammenleben mit anderen Kulturen in Deutschland befürwortet. Mit anderen Worten: Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als gäbe es diese Probleme nicht. Die Politik hat hier eine Gratwanderung vor sich, die sensibel und so objektiv wie möglich angegangen werden muss – gerade in einem politisch aufgeheizten Klima, in dem es Demonstrationen von Rechtspopulisten gibt.

Gibt es in Frankreich muslim-feindliche Demonstrationen wie bei der Pegida in Deutschland?

Nein, das entsprechende politische Klientel wendet sich in Frankreich dem Front National zu.

Hans Stark ist Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) in Paris.

© Promo

Welche Sicht hat Frankreichs Politik – unabhängig von den Kölner Ereignissen – grundsätzlich auf die deutsche Flüchtlingspolitik?

In den Kreisen, die sich nach wie vor für eine vernünftige Zusammenarbeit mit Deutschland einsetzen – also bei den regierenden Sozialisten und beim liberalen Flügel der oppositionellen Republikaner – wird die deutsche Flüchtlingspolitik unter der Hand kritisiert. Der Vorwurf besteht darin, dass in Frankreich die Auseinandersetzung mit der Front-National-Chefin Marine Le Pen nicht leichter geworden ist – eben durch die Öffnung Deutschlands für rund eine Million Muslime arabischen Ursprungs im vergangenen Jahr. Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy hat bereits gesagt, es sei möglich, dass sich die Flüchtlinge im offenen Schengen-Raum von Deutschland aus irgendwann Richtung Frankreich orientieren, weil dort die Sozialpolitik noch etwas großzügiger ist als in Deutschland.

Treibt der Front National die Sozialisten in der Flüchtlingspolitik vor sich her?

Die Sozialisten sind wie immer gespalten. Auf der einen Seite entspricht die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel genau dem, was sich ein Sozialist ideologisch unter Gerechtigkeit, Menschenrechten, Offenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber Schutzbedürftigen vorstellt. Aus dieser Perspektive ist es Angela Merkel, die die europäische Zivilisation gerettet hat – ganz im Gegensatz zu Ländern wie Polen, der Slowakei und Frankreich, die ihre Grenzen dicht machen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Realitäten: Das Zusammenleben mit der arabischen Bevölkerung ist schwierig, und im Schutz der Flüchtlingswanderung wurden auch potenzielle Terroristen eingeschleust. Man darf nicht vergessen, dass das terroristische Bedrohungspotenzial in Frankreich sehr hoch ist - und dieses Potenzial ist durch die Öffnung der Grenzen noch einmal verstärkt worden.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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