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Frankreich und Türkei: Diplomatischer Krieg

Frankreich will die Leugnung des Völkermords an den Armeniern bestrafen – die Türkei ist empört und droht mit Abbruch der Beziehungen.

Mit Protest und Drohungen versucht die Regierung der Türkei, die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zum Völkermord an den Armenien durch das französische Parlament zu verhindern. Der Entwurf, der an diesem Donnerstag in Paris zur Abstimmung steht, sieht Strafen für die Leugnung des türkischen Völkermordes an den Armeniern vor. Ankara hat bereits den Abzug des türkischen Botschafters aus Paris angekündigt. Doch in der Türkei regen sich Stimmen, die eine Änderung der bisherigen Politik fordern.

Der Pariser Gesetzentwurf sieht bis zu ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von 45 000 Euro bei Leugnung des Völkermordes an den Armeniern im untergehenden Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges vor. Eine merkwürdige Auffassung von Meinungsfreiheit sei das, sagt die türkische Regierung, die den Vorwurf des Völkermords zurückweist. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warnte vor irreparablen Schäden für das türkisch-französische Verhältnis, Außenminister Ahmet Davutoglu kündigte eine türkische Initiative zur Anprangerung französischer Gräueltaten in Algerien und anderswo an.

Dennoch wird damit gerechnet, dass der Entwurf in der französischen Nationalversammlung angenommen wird. In diesem Fall wird die Türkei ihren Botschafter vorübergehend aus Paris abziehen und den französischen Botschafter in Ankara des Landes verweisen – ähnlich wie im Streit mit Israel um den Tod türkischer Aktivisten beim Angriff auf die Gaza-Flottille im vergangenen Jahr.

Ob die Türkei auch gegen französische Wirtschaftsinteressen im Land vorgehen wird, ist offen. Die Türkei sei durch die Zollunion mit der EU gebunden, sagte Finanzminister Mehmet Simsek im Parlament. Deshalb werde es keinen staatlichen Boykott französischer Produkte geben. Wirtschaftssanktionen wären ohnehin ein zweischneidiges Schwert für die Türkei: Französische Großunternehmen wie Renault gehören zu den wichtigsten Industriearbeitgebern im Land.

Auch bei anderen Armenienresolutionen westlicher Staaten in den vergangenen Jahren war der türkische Theaterdonner meist beeindruckender als die konkreten Gegenmaßnahme. Diesmal dürfte es nicht anders sein. „Der Botschafter wird heimkehren, und das ist es dann auch“, sagte der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar dem Tagesspiegel. Aktar, der sich seit Jahren für eine Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern und für die Anerkennung des Völkermordes engagiert, erkennt in dem Protest Ankaras vor allem eines: Hilflosigkeit. „Die türkischen Regierungen wissen einfach nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen.“

Das Thema Genozid bleibt eines der letzten Tabus des türkischen Staates – denn eine Anerkennung des Völkermordes würde den Gründungsmythos der Republik ins Wanken bringen. Führende Vertreter der 1923 gegründeten Republik seien in die Armenier-Massaker verwickelt gewesen, sagt Aktar. Erst vor kurzem entschuldigte sich Erdogan offiziell im Namen des türkischen Staates für Massaker gegen die alewitische Minderheit im ostanatolischen Dersim in den 1930er Jahren. Doch in der Armenierfrage ist ein ähnlicher Schritt so schnell nicht zu erwarten.

Die Hoffnung auf eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte ruht deshalb auf der türkischen Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit. Hier hat sich einiges getan. Noch vor wenigen Jahren löste selbst die leiseste Kritik an der offiziellen Zurückweisung des Völkermordvorwurfes scharfe Proteste von Nationalisten und Politikern aus. Heute erregt die Forderung nach Anerkennung des Völkermordes kaum noch Aufsehen.

„Wovor fürchten wir uns eigentlich?“, schrieb der angesehene Kommentator Mehmet Ali Birand kürzlich mit Blick auf die türkische Weigerung, dem Erbe des Völkermordes ins Gesicht zu sehen. „Mit Leugnung können wir nichts erreichen.“ Die Öffentlichkeit sei bei dem Thema weiter als die Politik, sagte Aktar.

Von der französischen Initiative ist Aktar allerdings wenig begeistert. Ein solcher Parlamentsbeschluss im Ausland werde nur eine Verhärtung der offiziellen türkischen Haltung zur Folge haben und den „gesunden Prozess in der Türkei“ stören, sagt der Professor.

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