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Jung

© Thilo Rückeis

Franz Josef Jung: "Wir dürfen die Pfeile nicht auf uns ziehen“

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CSU) spricht über Spannungen in der Union, in der Koalition - und in Afghanistan.

Bevor wir vom Militär reden, wollen wir über Kampfhandlungen in Ihrer Partei sprechen. Was ist los in der CDU?



Wir stehen mitten in einer Finanz- und Wirtschaftskrise von unglaublichen Ausmaßen. Da ist es doch sehr verständlich, dass die Union darüber redet, in welcher Richtung es weitergeht und welche Akzente wir setzen wollen. Wir müssen dann aber am Ende zu Entscheidungen kommen und diese auch geschlossen vertreten.

Warum erschüttert aber die gleiche Krise die Union stärker als die SPD?

Weil die Union die Partei der sozialen Marktwirtschaft ist und wir auch vor schwierigen Entscheidungen prüfen, ob wir diesem Maßstab gerecht werden. Deshalb diskutieren wir zum Beispiel, ob es nicht auch andere Wege als eine Enteignung gibt, um einen Kollaps der Hypo Real Estate zu verhindern.

Ihre Fraktion hat im Bundestag zugestimmt, dass im Zweifel enteignet wird.

Langsam! Die Stabilisierung dieser Bank ist im Interesse der sozialen Marktwirtschaft. Wir unternehmen zugleich alles, um den Steuerzahler nicht über Gebühr zu belasten. Das würde aber passieren, wenn bei einer Übernahme durch den Staat der Aktienwert dieser bereits massiv vom Staat gestützten Bank in einer Höhe festgesetzt würde, die von deren wirklichem Marktwert weit entfernt ist. Das hätte nichts mit sozialer Marktwirtschaft zu tun. Als allerletztes Mittel können wir deshalb auch eine Enteignung nicht ausschließen. Ich erinnere daran, dass dieses Instrument im Artikel 14 des Grundgesetzes ausdrücklich für den Fall vorgesehen ist, dass es dem Allgemeinwohl dient.

Der CDU-Politiker Franz Josef Jung ist am Ende stolz auf die Debatte in der Union?

Natürlich gab es auch Vorgänge, die mir überhaupt nicht gefallen haben. Das Wichtigste ist: Wir dürfen nicht die Pfeile auf uns ziehen, die anderen gehören.

Wo sehen Sie solche Fälle?

Nehmen Sie die Diskussion über Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach und den Sitz im Beirat des Zentrums gegen Vertreibung. Es war die SPD, die gesagt hat, sie werde Erika Steinbach nicht im Beirat akzeptieren. Anstatt die Bundeskanzlerin zu kritisieren, sollten gewisse Unionspolitiker die Verantwortung der SPD für den Konflikt deutlich machen.

Aber die Bundeskanzlerin hat sich in den Augen von Unionsanhängern nicht deutlich genug vor Steinbach gestellt.

Das war womöglich die öffentliche Wahrnehmung. In Wirklichkeit gab es nie einen Zweifel daran, dass die Kanzlerin zu Erika Steinbach hält. Das CDU-Präsidium mit Angela Merkel an der Spitze hat entschieden, dass wir klar an der Seite der Vertriebenen stehen. Ohne diese Bundeskanzlerin hätte das Projekt der Stiftung gegen Vertreibung nie eine Chance gehabt. Ich erinnere mich noch gut daran – ich war schließlich dabei –, wie hart Angela Merkel in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD darum gerungen hat, dieses Projekt durchzusetzen.

Da wir von Pfeilen sprachen: Ist der eifrigste Schütze nicht CSU-Chef Seehofer?

Es war schon oft so, dass die CSU ihre Eigenständigkeit bewiesen hat. Auch die CSU weiß aber, dass wir in einem Boot sitzen und nicht vorankommen, wenn wir uns gegenseitig beharken, statt uns gemeinsam ins Ruder zu legen. Horst Seehofer hat deutlich gemacht, dass er sich dieser Verantwortung bewusst ist.

Wir fassen zusammen: Die Kritik aus den eigenen Reihen am Kurs in der Krise, am Umgang mit Steinbach oder auch an Merkels Papstkritik – das ist alles grundlos?

Ich habe für diese Kritik keinerlei Verständnis. Das muss aufhören. Wir haben das klare Ziel, unseren Regierungsauftrag bis zur Sommerpause zu erfüllen. Wir von der Union werden das tun. Die SPD dagegen glaubt, es sei schon Wahlkampfzeit. Wir müssen aber alle dem Wählerauftrag nachkommen und regieren, statt aufeinander einzuschlagen.

Spielen Sie an auf SPD-Chef Müntefering und SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier, die der Bundeskanzlerin Versagen vorwerfen?

Ich halte von diesem Stil überhaupt nichts. Ich bin überzeugt: Wer so weit überzieht, schadet nur sich selbst und nicht der Union. Wir wollen uns auf das Feld Wahlkampf jetzt noch nicht begeben. Verlassen Sie sich darauf: Ich kann auch Wahlkampf. Den starten wir aber erst nach der Sommerpause. Bis dahin regieren wir.

Und wie viel Prozent erreicht die Union dann bei der Bundestagswahl?

Ich kämpfe weiterhin für 40 plus x. Das können wir auch hinkriegen.

Dann lassen Sie uns jetzt über wirkliche Kämpfe reden. Was bedeutet für uns die neue Strategie, die US-Präsident Obama für Afghanistan vorbereitet?

Ich begrüße es erst einmal sehr, dass die amerikanische Regierung den Ansatz der vernetzten Sicherheit deutlicher auch für sich selbst anwenden will, den die Bundeswehr ja in Afghanistan seit Jahren praktiziert. Das bedeutet, sowohl militärische Sicherheit zu gewährleisten als auch den zivilen Aufbau voranzutreiben. Ich war gerade in Afghanistan. Dabei habe ich erneut gespürt, wie stark das Gespräch mit den Stammesältesten, mit den Menschen über ihre unmittelbaren Anliegen und Bedürfnisse zur Sicherheit beiträgt. Auf diesem Weg können wir unserem Ziel näher kommen.

Kennt die Nato nach sieben Jahren noch ihr Ziel?

Unser Ziel lautet: selbst tragende Sicherheit. Das heißt, dass Afghanistan selber in der Lage sein muss, für seine Sicherheit zu sorgen. Konkret heißt das nach bisheriger Beschlusslage rund 134 000 ausgebildete afghanische Soldaten – wir haben im Moment in etwa 70.000. Wenn jetzt in Amerika überlegt wird, dass Afghanistan doppelt so viele Soldaten braucht, sind wir auch damit einverstanden. Wir brauchen in etwa 130.000 ausgebildete afghanische Polizisten. Da sind wir aktuell bei etwa 35.000, das heißt, hier muss noch deutlich mehr getan werden.

Sicherheit – das fällt hinter die hehren Ziele der ersten Jahre zurück, oder?

Uns geht es nicht darum, dass wir unser Demokratiesystem nach Afghanistan übertragen. Uns geht es im Interesse unserer Sicherheit darum, dass das Land nicht mehr zurückfällt in ein Ausbildungslager für Terroristen, die sich unsere Gesellschaften und unsere Wertvorstellungen als Ziele aussuchen. Die afghanische Regierung muss in die Lage versetzt werden, selbst für die Sicherheit des Landes zu sorgen. Dafür braucht sie ausgebildete Streitkräfte und ausgebildete Polizei.

Rechnen Sie beim Nato- Gipfel Anfang April mit neuen Anforderungen an Deutschland?

Damit rechne ich nicht.

Auch nicht bei der Polizeiausbildung?

Nein, auch dort nicht. Mein amerikanischer Amtskollege Bob Gates hat erst neulich im Gespräch mit mir hervorgehoben, wie positiv er unser Engagement würdigt. Wir stocken ja unser Streitkräfteangebot noch einmal um 600 Soldaten auf – im Hinblick auf die Präsidentenwahl in Afghanistan, aber auch im Hinblick auf die Stärkung unserer schnellen Eingreiftruppe im Norden. Wir haben erheblich unsere Anstrengungen für den zivilen Aufbau verstärkt. Unser Beitrag beläuft sich jetzt auf 170 Millionen Euro. Wir haben unser Engagement zur Ausbildung der Armee und jetzt auch zur Polizeiausbildung erheblich verstärkt. Ich habe mir das gerade in Masar-i-Scharif angeschaut und kann nur sagen: Was dort unsere Polizeiausbilder leisten, ist ganz hervorragend. In diese Richtung müssen wir uns als ganze Gemeinschaft noch stärker engagieren.

Gilt Ihre Erwartung, dass niemand etwas von uns will, auch über den Tag der Bundestagswahl hinaus?

Ich habe mit meinem Kollegen Gates und mit Präsident Obamas Sicherheitsberater, Jones, intensiv gesprochen. Ich kann sagen: Unser Einsatz in Afghanistan wird in Washington sehr, sehr nachdrücklich geschätzt. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich daran nach dem Wahltag etwas ändert.

Ist eigentlich der Eindruck falsch, dass sich die Sicherheitslage im deutschen Einsatzgebiet im Norden etwas entspannt hat – jedenfalls im Vergleich zum Vorjahr?

Das ist ein Stück weit meine Hoffnung. Aber ich bin mit Prognosen vorsichtig. Als ich jetzt in Kundus war, hatte ich durchaus den Eindruck, dass durch unsere Initiativen zur stärkeren Zusammenarbeit mit Stammesältesten einiges passiert ist. Es gibt inzwischen Kooperation auch in kritischen Gebieten. Es hat den Anschein, dass wir Taliban-Strukturen etwas zurückdrängen konnten. Ich hoffe, dass sich das stabilisiert. Man sagt in Afghanistan: In kalten Wintern passiert nichts. Wir hatten aber dieses Mal keinen kalten Winter. Trotzdem, bevor sich belastbare Aussagen treffen lassen, sollten wir die Entwicklung noch eine Weile beobachten.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Obamas Ankündigung, mit gemäßigten Taliban verhandeln zu wollen?

Ich glaube, der amerikanische Präsident wollte damit auch deutlich machen, dass wir uns nicht nur auf militärische Erfolge beschränken können, sondern dass wir auf die Menschen weiter zuzugehen haben. Das ist genau das, was wir regional machen, wenn wir mit Stammesältesten reden: „Was kann wo gemacht werden?“ Das trägt auch dazu bei, dass Menschen nicht aus Enttäuschung in Radikalität abrutschen. Mir haben die Gesprächspartner in Afghanistan gesagt: „Wer einmal Taliban ist, ist Taliban. Da kann man dann nicht mehr unterscheiden.“

Mit wem will Obama dann verhandeln?

Ich halte es für richtig, dass die afghanische Regierung prüft, ob sie Verhandlungen führt.Wir unterstützen die Regierung in Kabul dabei. Wenn es dadurch gelingt, dass sich gewisse Leute von Gewalt distanzieren, wäre das ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Wir als westliche Staaten müssen aber vorsichtig sein in dieser Frage. Wir haben im Süden des Landes mit Versuchen, sich mit Taliban zu arrangieren, schon negative Erfahrungen gemacht. Es ist besser, wenn die Afghanen das selbst in die Hand nehmen.

Was war falsch daran, als Kurt Beck zu Gesprächen mit moderaten Taliban riet – unter Hohngelächter aus der Union?

Ich habe damals das Gleiche gesagt wie heute: Das ist eine Aufgabe der afghanischen Regierung. Und es erfordert, dass sich die Gesprächspartner auf der anderen Seite eindeutig und klar von Gewalt distanzieren.

Kurz vor dem Nato-Gipfel hat der russische Präsident Medwedew angekündigt, viel Geld in Rüstung und Modernisierung, auch von Atomwaffen, zu stecken. Ist das ein Grund zur Beunruhigung?

Ich denke, es ist klug, wenn wir den Dialog mit Russland wieder ganz aufnehmen und den Nato-Russland-Rat wieder aktivieren. Ich vermute hinter dieser Ankündigung eher innenpolitische Motive. Wir müssen aber immer wieder unterstreichen, dass die Nato ein Schutzbündnis ist und sich nicht gegen jemanden richtet. In der Zeit, als ich selbst Soldat war, war die Nato natürlich gegen den Warschauer Pakt aufgestellt. Aber diese Zeiten sind überwunden.

Worauf soll dieser Dialog hinauslaufen?

Wir sollten deutlicher unterstreichen, wo wir gemeinsame Sicherheitsinteressen haben. Russland blickt da sicher auch nach Europa, aber ebenso in Richtung Iran und Afghanistan. Das trifft sich mit unseren Interessen, und das hat heute schon praktische Folgen. Wir können inzwischen für den Nachschub nach Afghanistan russische Bahnverbindungen nutzen. Oder Iran: Mir hat der heutige stellvertretende russische Ministerpräsident Iwanow zu der Zeit, als er noch Verteidigungsminister war, einmal gesagt: „Iranische Raketen sind schneller bei uns als bei euch.“ Wir sollten weiter daran arbeiten, diese gemeinsamen Interessen in einer strategischen Sicherheitspartnerschaft zusammenzuführen.

Der Nato-Gipfel ist doppelt historisch: Die Nato wird 60, und Frankreich kommt zurück. Verändert dies das Bündnis?

Ich kann nur sehr begrüßen, dass Frankreich wieder Vollmitglied der Nato wird. Ich glaube, das wird noch einmal anders als vorher zum Brückenschlag über den Atlantik und zu einer engeren Partnerschaft führen. Und was das Jubiläum angeht – wir feiern bei uns in diesem Jahr 60 Jahre Bundesrepublik und 20 Jahre Mauerfall. Ich bin ganz sicher: Ohne das Engagement der Nato und ohne die Einbindung der Bundeswehr in deren Strukturen könnten wir diese beiden Jubiläen nicht feiern.

Zur Person:

ERBACH Franz Josef Jung wurde am 5. März 1949 in Erbach im Rheingau geboren. Sein Bruder Ludwig führt dort heute das Weingut Jakob Jung.

WIESBADEN Der Hesse interessierte sich schon in jungen Jahren für die Politik. Er war in Wiesbaden unter anderem Chef der CDU- Landtagsfraktion und Staatskanzleichef. Jung gilt als enger Vertrauter des hessischen Ministerpräsidenten Koch. Seit 1998 ist der Vizechef der Hessen-CDU.

BERLIN
Seit 2005 ist der Jurist Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Seinen Wehrdienst hat er in den Jahren 1968 und 1969 abgeleistet.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Hans Monath.

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