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Drohsel

© Wolff

Franziska Drohsel: "Wir brauchen eine andere Ordnung"

Juso-Chefin Franziska Drohsel über den "demokratischen Sozialismus“ , rot-rote Koalitionen im Bund und Kurt Beck als Kanzlerkandidat.

Frau Drohsel, seit über 140 Jahren träumt die SPD vom „demokratischen Sozialismus“. Glauben Sie, dass dieser Idealzustand noch zu Ihren Lebzeiten eintritt?

Ob ich ihn wirklich erleben werde, ist nicht die Frage. Für uns Jusos und für die SPD hat der demokratische Sozialismus eine elementare Bedeutung. Er ist das, wofür wir kämpfen. Er ist unsere Vision.

Wodurch würde sich eine Gesellschaft des „demokratischen Sozialismus“ von der heutigen unterscheiden?

Dem SPD-Grundsatzprogramm zufolge leben die Menschen im demokratischen Sozialismus in Freiheit, Gleichheit und Solidarität zusammen.

Und weiter?

Für uns Jusos ist im demokratischen Sozialismus das kapitalistische System nicht mehr das vorherrschende.

Die Marktwirtschaft in ihrer jetzigen Form würde abgeschafft?

Grundsätzlich würde das natürlich schon bedeuten, dass man das Marktprinzip als gesellschaftsstrukturierendes Element aufhebt.

Und dann?

Es wäre dann so, dass auch die Wirtschaft nach demokratischen Prinzipien geführt würde, also aufgrund von Mehrheitsentscheidungen. Das heißt ja nicht, dass es keine Konkurrenz um die besten Ideen geben kann.

Sie meinen das ganz ernst, oder?

Natürlich. Wir brauchen eine andere Ordnung. Und ich glaube, dass Gesellschaft anders organisiert werden kann. Dieses System ist von Menschen gemacht und kann auch von Menschen wieder geändert werden. Es ist nicht zwangsläufig so, dass man im Kapitalismus lebt. Dieser Kapitalismus produziert massive Ungerechtigkeit, er schafft Armut und Verelendung in Deutschland und weltweit. Deshalb brauchen wir eine Alternative.

Von der Sie aber nicht so genau sagen können, wie sie aussieht und welchen Preis die Menschen dafür zahlen müssten.

Das Schöne am demokratischen Sozialismus ist doch, dass er kein fester Zustand ist, den irgendeine Organisation definiert, sondern ein Prozess, an dem alle beteiligt sind, eine Vision, für die man kämpfen kann.

Würde uns eine rot-rote Koalition im Bund dem „demokratischen Sozialismus“ näher bringen?

Weiterbringen würde uns eine Regierung, die ein linkes Programm umsetzt. Es gibt ja eine faktische linke Mehrheit im Bundestag, und ich würde mir wünschen, dass die auch genutzt wird für praktische linke Politik. Das geht allerdings nicht aus dem Stand. Da ist ein Gesprächsprozess notwendig, bei dem geschaut werden muss, ob es genügend Gemeinsamkeiten gibt. Und das kann dauern, denn bisher hat die SPD auf Bundesebene eine pauschale Abschottungspolitik gegenüber der Linken betrieben.

Was wären die zentralen Aufgaben eines linken Projekts?

Der Kampf gegen die wachsende soziale Ungleichheit ist zweifellos das Wichtigste. Dabei spielt die Bildungspolitik eine zentrale Rolle. Es geht darum, endlich Chancengleichheit durchzusetzen. Dazu ist eine neue Umverteilungspolitik notwendig. Außerdem muss die Sozialpolitik geändert werden. Die Repressionen, die mit den Hartz-Reformen verbunden sind, demoralisieren die Menschen.

Das klingt so, als bestünde der Auftrag einer rot-roten Koalition vor allem darin, die Reformpolitik der SPD unter Gerhard Schröder zu korrigieren. Reicht Ihnen die Kursbestimmung der SPD auf dem Hamburger Parteitag nicht aus?

Der Parteitag in Hamburg und die Korrektur bei der Zahlung des Arbeitslosengeldes I waren das Signal, dass wir wieder verstärkt auf soziale Gerechtigkeit setzen. Ich würde mir wünschen, dass wir diesen Kurs verstärken und noch vehementer vertreten.

Heißt das für Sie, dass Reformen der Regierung Schröder rückgängig gemacht werden müssen?

Die SPD muss zumindest eine kritische Diskussion über das Prinzip Fordern und Fördern führen, denn die erhofften Erfolge sind ja nicht eingetreten. Der Sanktionskatalog für arbeitslose Menschen, etwa die Leistungskürzungen, ist ungerecht. Und von echter Förderung von Arbeitslosen kann keine Rede sein. Die Qualifizierungsmaßnahmen führen viel zu selten zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt, sondern führen den Betroffenen nur besonders eindrücklich vor, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Am Ende stehen gebrochene Menschen.

Sind an dieser Entwicklung die Arbeitsmarktreformen schuld oder handelt es sich um Folgen der Globalisierung?

Natürlich hat Arbeitslosigkeit mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Aber das Prinzip Fordern und Fördern hat nun mal Rot-Grün eingeführt.

Was verlangen Sie konkret?

Die Verschärfung der Sanktionen gegenüber Arbeitslosen gehört zurückgenommen, und die Ungleichbehandlung von unter 25-Jährigen muss ein Ende haben.

War es vor der Agenda 2010 nicht auch so, dass die hohe soziale Absicherung der Massenarbeitslosigkeit viele Menschen in die Passivität getrieben hat, dass sie quasi ruhig gestellt wurden?

Ich glaube, dass der Weg über Repressionen der falsche ist. Man muss dafür sorgen, dass es tatsächlich Chancen gibt auf Ausbildung, Schulabschluss und Arbeitsplatz, bevor man Forderungen an die Menschen richtet und sie gegebenenfalls bestraft.

Als wichtigsten Hinderungsgrund für Rot-Rot im Bund führt die SPD-Spitze die Außenpolitik an. Erwarten Sie von der Linkspartei, dass Sie das kategorische Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr überprüft?

Sicher wäre eine Regierungszusammenarbeit wegen der außenpolitischen Beschlusslage meiner Partei und jener der Linkspartei momentan schwierig, wenn nicht unmöglich. Aber das muss ja nicht so bleiben. Die Linke wird eine Diskussion führen, und wir diskutieren unsere Positionen ja auch. Wichtig ist, dass man jetzt die inhaltliche Auseinandersetzung sucht.

Bis wann können sich Linke und SPD so weit angenähert haben, dass eine Koalition möglich ist?

Wir sprechen von einem offenen Prozess, dessen Ergebnis und Ende für mich gegenwärtig nicht absehbar ist.

Glauben Sie, dass die SPD des Jahres 2013 den gegenwärtigen Richtungsstreit in der SPD um Rot-Rot als notwendige Geburtswehen einer Regierungszusammenarbeit im Bund ansehen wird?

Möglich. Aber ich halte nichts von Zeitvorgaben und Fristen. Weder von langen noch von kurzen.

Würden Sie sagen, dass SPD-Chef Kurt Beck den Annäherungsprozess von SPD und Linkspartei mit seinem plötzlichen Kursschwenk vorangebracht hat?

Ich würde sagen, dass wir in dem Sinne einen riesigen Schritt vorangekommen sind, dass wir eine pauschale Abschottungspolitik und einen künstlichen Antikommunismus im Umgang mit einer demokratischen Partei aufgegeben haben, der einer inhaltlichen Auseinandersetzung im Wege steht. Für einen inhaltlichen Klärungsprozess war dieser Schritt sehr wichtig.

Und diesen Klärungsprozess sehen Sie als Voraussetzung für mögliche Koalitionen mit der Linken?

Wenn man mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen will, muss man sich die Frage stellen, woher die parlamentarischen Mehrheiten kommen sollen. Und da ist die Linke für mich eine zu prüfende Option, die durch das Ende einer pauschalen Verteufelungspolitik näher gerückt ist.

Andrea Ypsilanti in Hessen hat für ein rot-rot-grünes Experiment ihr Wort gebrochen und muss nun um ihre politische Zukunft bangen. War der Preis zu hoch?

Die Hessen entscheiden selbst. Andrea Ypsilanti stand vor allem im Wort für die inhaltlichen Projekte, die sie im Wahlkampf vertreten hat.

Sie hatte aber auch ihr Wort gegeben, sich nicht mit den Stimmen der Linken wählen zu lassen.

Die inhaltliche Glaubwürdigkeit wiegt für mich schwerer, weil ich davon überzeugt bin, dass Andrea Ypsilanti wegen ihrer Inhalte gewählt wurde.

Viele in der SPD sind erleichtert, dass Rot-Grün mithilfe der Linken in Hessen am Widerstand der Abgeordneten Dagmar Metzger gescheitert ist. Ypsilanti sei drauf und dran gewesen, die Glaubwürdig der gesamten Partei zu beschädigen, lautet der Vorwurf.

Diese Erleichterung sehe ich nicht. Ich sehe vielmehr Bedauern und die Befürchtung, dass in Hessen in den nächsten fünf Jahren keine moderne und soziale Politik gemacht wird.Wenn die Glaubwürdigkeit der SPD gelitten hat, dann in der Zeit von Rot-Grün im Bund. Die SPD kann nur Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie sich wieder zur Partei der sozialen Gerechtigkeit macht. Da ist Andrea Ypsilanti auf einem sehr guten Weg.

Hat die SPD in der großen Koalition im Bund an Glaubwürdigkeit verloren?

Dass sich die SPD in einer Koalition mit der CDU/CSU nicht immer durchsetzen kann, ist klar. Ohne die SPD wäre das Thema Mindestlohn jedoch in der großen Koalition nicht auf der Tagesordnung. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass die Rente mit 67 und die Unternehmensteuerreform harte Brocken für unsere Wähler waren und sind.

Der heftige Streit in der SPD über Linksbündnisse hat erkennbar auch die Autorität von Parteichef Kurt Beck beschädigt. Kann einer, der sich in einer derartigen Frage Wortbruch vorwerfen lassen muss, noch Kanzlerkandidat der SPD werden?

Dass Kurt Beck Autorität verloren hat, kann ich nicht erkennen. Die Partei ist ihm mit überwältigender Mehrheit gefolgt. Im Übrigen muss eine verantwortliche Parteispitze Veränderungen im politischen Gefüge, wie sie sich in Hessen mit dem Einzug der Linken in den Landtag gezeigt haben, zur Kenntnis zu nehmen und ihre Positionen, falls notwendig, korrigieren. Das ist völlig legitim und auch richtig.

Wenn Beck volle Rückendeckung der Partei hat, dann kann das für seine Stellvertreter Steinmeier und Steinbrück nicht gelten. Beide haben Becks Kehrtwende beim Umgang mit der Linkspartei kritisiert.

An der Parteibasis kam es gar nicht gut an, dass manche Sozialdemokraten erst im Vorstand einen Beschluss mittragen, um danach den Parteichef zu kritisieren.

Die SPD-Linke hat Steinmeier und Steinbrück im Verdacht, Becks Kanzlerkandidatur verhindern zu wollen. Gibt es Anlass für diese Mutmaßung?

Ich bin kein Freund von Mutmaßungen. Für die Partei ist Kurt Beck nach wie vor die Nummer eins.

Kann er noch Kanzler werden oder nicht?

Natürlich. Er hat als Parteichef das Recht des ersten Zugriffs. Seine Autorität ist nicht geschmälert.

Beck, der Ypsilanti in Hessen freie Hand gegeben hat, macht einfach so weiter wie bisher?

Wir haben im Parteivorstand und Parteirat fast einstimmig beschlossen, dass die Länder eigenverantwortlich entscheiden. Im Rahmen der innerparteilichen Demokratie ist das auch selbstverständlich. Von daher sehe ich keine Rückschlüsse auf Kurt Beck.

Frau Drohsel, warum sollten die Wähler der SPD glauben, dass die Absage der Parteiführung an Koalitionen mit der Linken im Bund für 2009 Bestand haben wird?

Im Umgang mit der Linken steht die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund. Dann wird man sehen, was sich entwickelt. Ich persönlich finde: Man sollte jetzt nichts ausschließen. Bündnisfragen werden von Inhalten abgeleitet. Ob es 2009 tatsächlich unüberbrückbare Hindernisse geben wird, kann man jetzt noch nicht sagen.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Mike Wolff.

POLITIKERIN

Seit November 2007 ist Franziska Drohsel Chefin der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos. Sie folgt damit prominenten Vorgängern – wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerhard Schröder und Andrea Nahles.

PERSON

Die 27-jährige Juristin arbeitet derzeit an ihrer Promotion als Staatsrechtlerin. Die gebürtige Berlinerin, die in Steglitz aufgewachsen ist, will später als Anwältin arbeiten.

DISTANZ

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit sorgte Drohsel für Empörung, weil sie Mitglied der „Roten Hilfe“ war, einem Verein, der für Solidarität mit inhaftierten Linksextremisten wirbt. Kurze Zeit später trat sie aus.

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