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Politik: Freiheit statt Lafontainismus

Die Linkspartei will ein neues Programm debattieren – und über ihren neuen Chef gleich mit?

Von Matthias Meisner

Berlin - In der Linkspartei wächst der Druck auf die Führung, nach dem erfolgreichen Gründungsparteitag im Juni die Debatte über den künftigen Kurs zu eröffnen. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Petra Pau, verlangte am Dienstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel eine „spannende Programmdebatte“. Sie unterstützte in diesem Punkt den Europaabgeordneten André Brie, der den Charakter der neuen Linken als „ungeklärt“ bezeichnet und für „realitätsnahe, politikfähige Vorstellungen“ plädiert hatte. Hinter den Forderungen verbergen sich handfeste Vorbehalte gegen Parteichef Oskar Lafontaine und dessen West-Beauftragten Ulrich Maurer. Sie wollten die neue Linke nur in Abgrenzung zur SPD und damit „fremdbestimmt“ festlegen, kritisierte Pau.

Zwar versicherte die Politikerin, die auch Vizepräsidentin des Bundestages ist, sie halte die von Brie geforderte innerparteiliche Opposition gegen Lafontaine für „Quatsch“. Allerdings teilt sie die Sorge ihres Parteifreundes, dass sich die Linke zu sehr auf Protest beschränke. Für besonders fragwürdig hält sie Lafontaines Parole „Freiheit durch Sozialismus“. Diese sei möglicherweise „parteitagstauglich“, müsse aber „für das wahre Leben entschlüsselt werden“. Pau sagte: „Sollte gemeint sein, wir bauen erst einmal einen schönen Sozialismus und dann werden alle schon frei sein, dann klingeln bei mir die Alarmglocken. So etwas erinnert mich an alte Zeiten.“ Bürger- und Freiheitsrechte dürften von der Linken nie mehr geringgeschätzt werden, meinte das frühere SED-Mitglied.

Der ehemalige Wahlkampfchef Brie, der sich jahrelang gern als PDS-Vordenker zitieren ließ, hatte im „Spiegel“ von Ansätzen zu einer „Re-SEDisierung“ der Linken gesprochen. Er sieht ein „schablonenhaftes Denken in Schwarz-Weiß“, das sich unter der neuen Führung wieder verstärken könnte. Zugleich forderte er Koparteichef Lothar Bisky und Fraktionschef Gregor Gysi auf, „sie sollten sich mehr einmischen und die Außendarstellung der Partei nicht Lafontaine überlassen“. Andere Linkspolitiker – vor allem aus den Reihen der Spitzenfunktionäre in den Ost-Ländern – mahnen intern seit Wochen, sich nicht damit zu begnügen, dass die Linke derzeit Konjunktur habe. „Die Leute wollen irgendwann wissen: Warum sollen wir euch wählen?“, heißt es etwa aus der Linkspartei in Sachsen-Anhalt.

Bisky reagierte auf Bries Interview differenziert. Er schätze Bries häufig provokant vorgetragene Gedanken, sagte Bisky, betonte aber zugleich, dass Lafontaine viele Partner in der Partei und keine Opposition brauche. Die Sorge, „dass das Verhältnis zur SPD irreparabel zerstört werden könnte“, teile er mit Brie. Der zum linken Parteiflügel gehörende frühere Bundesgeschäftsführer der PDS, Uwe Hiksch, nannte Bries Kritik an Lafontaine „unerträglich“. Der Europaabgeordnete ignoriere bewusst die konkreten Angebote von Lafontaine an die SPD für eine reformorientierte Alternative zur großen Koalition. Hiksch sagte voraus, die Thesen von Brie wären in der neuen Linken „nicht mehrheitsfähig“.

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Olaf Scholz ermahnte alle SPD-Bundestagsabgeordneten, die Auseinandersetzung mit der Linken auf sachlicher Ebene zu führen. Er übersandte ihnen „Oskars Welt“, eine 13-seitige Dokumentation der Parteizentrale mit früheren und heutigen Aussagen Lafontaines. Der ehemalige SPD-Chef wird darin unter anderem mit einer Bemerkung aus dem Jahre 1996 zitiert: „Unrealistische Versprechen helfen überhaupt nichts“, sagte er damals auf dem Juso-Bundeskongress.

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