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Politik: Freiwillige für den heiligen Krieg

Nach dem Selbstmordattentat einer Belgierin im Irak befürchtet die Polizei, dass die Frau kein Einzelfall ist

Sie war 38 Jahre alt, verheiratet, Belgierin. Sie hatte hellbraune Haare, blaue Augen, trug die Burka und sogar Handschuhe. Man sah nur noch ihre Augen. Muriel Degauque aus dem südbelgischen Städtchen Monceau-sur-Sambre sprengte sich am 9. November in Baakuba im Irak in die Luft. Die Nationalität der Attentäterin wurde erst jetzt bekannt. Nach ersten Untersuchungen riss Muriel Degauque fünf irakische Polizisten mit in den Tod. In Belgien löste dieser Selbstmordanschlag Bestürzung und Ratlosigkeit aus. „Was bringt eine junge Belgierin dazu, sich im Irak am heiligen Krieg zu beteiligen?“, fragen sich in den vergangenen Tagen immer wieder Journalisten, Experten und Freunde der Toten in den belgischen Zeitungen. Und die noch viel drängendere Frage lautet: Gibt es von diesen Frauen noch mehr?

170 Akten, die sich mit Terrorverdächtigen beschäftigen, liegen zurzeit bei der belgischen Staatsanwaltschaft, heißt es aus dem Brüsseler Justizministerium. Am Mittwoch nahm die belgische Polizei in einer landesweiten Aktion 14 Personen fest. Sie alle stehen im Verdacht, sich und andere auf den Einsatz im Heiligen Krieg vorzubereiten. „Sie hatten zum Ziel, Freiwillige ins Schlachtfeld zu schicken“, erklärte Glenn Audenaert von der Brüsseler Kriminalpolizei. Sechs der Festgenommenen sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Ein Terrorverdächtiger, der im November in Marokko festgenommen worden war, hatte ausgesagt, dass in Belgien eine ganze Gruppe Frauen auf ihren Einsatz als Attentäterinnen warte. Er habe entsprechende Kontakte gehabt.

Muriel Degauque war wohl eine von ihnen geworden. Sie hatte eine nicht ganz einfache Jugend: Keine guten Noten, Abbruch einer Lehre, Gelegenheitsjobs, Drogensucht, Flucht von zu Hause. Sie interessierte sich mehr und mehr für den Islam, heiratete einen Türken, trat zu seiner Religion über, ließ sich wieder scheiden. Vor drei Jahren lernte sie Issam Goris kennen, der aus Marokko stammte und mittlerweile die belgische Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Die junge Frau lernte Arabisch, trug Kopftuch. Gemeinsam mit ihrem neuen Ehemann fuhr sie für mehrere Monate nach Marokko. Als sie zurückkehrte, war sie für ihre Freunde kaum mehr wiederzuerkennen. „Wir sahen nur noch ihre Augen. Es war als hätte sie eine Gehirnwäsche bekommen“, erzählte ein Nachbar ihrer Eltern der Zeitung „La Libre Belgique“.

Das junge Ehepaar zog nach Brüssel, in das marokkanische Viertel am Südbahnhof. Muriel wurde Hausfrau, hatte immer weniger Kontakt zu ihren Eltern. Ihr Mann wurde zeitweise vom staatlichen Sicherheitsdienst überwacht – als Terrorverdächtiger. Im August fuhren die beiden mit dem Auto über die Türkei in den Irak, wo sich die junge Belgierin Anfang November in die Luft sprengte. Ihr Mann wurde kurz nach dem Attentat von amerikanischen Soldaten getötet.

In Belgien versuchen Polizei und Politiker unterdessen, den Schaden zu begrenzen. „Belgien ist keine Plattform und auch keine Basis für Terroristen. Wir haben hier das gleiche Problem wie in anderen europäischen Ländern“, sagt Alain Grignard, Islamwissenschaftler an der Freien Universität Brüssel und zuständig für die Anti-Terror-Einheit der Brüsseler Polizei. „Wir haben hier vor allem logistische Netzwerke. Natürlich besteht auch in unserem Land ein Anschlagsrisiko, aber man sollte das nicht überbewerten.“

Ruth Reichstein[Brüssel]

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