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Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht lotet derzeit aus, welche Chancen eine Parteineugründung bieten würde.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

Fristen, Programm, Landesverbände: Die hohen Hürden für Wagenknechts Europa-Abenteuer

Tritt eine Wagenknecht-Partei bei der Europawahl an? Fest steht: Ein solcher Schritt würde einen erheblichen organisatorischen Aufwand bedeuten.

Der Termin für die Europawahl steht, eine mögliche Parteigründung von Sahra Wagenknecht hingegen noch nicht. Jüngst haben sich die Vertreter der EU-Staaten auf die Termine für die Europawahl verständigt – in Deutschland ist das der 9. Juni 2024. Könnte eine von der ehemaligen Co-Fraktionschefin Wagenknecht gegründete Abspaltung von den Linken dabei antreten? Aufgrund der geltenden Fristen müsste sich Wagenknecht direkt nach der Sommerpause entscheiden.

Am Dienstag will die 53-Jährige bei einer Veranstaltung gemeinsam mit ihrem Linken-Fraktionskollegen Alexander Ulrich und dem Buchautor Christian Baron in Kaiserslautern auftreten. „Krieg, Armut, Freiheit: Wie wird unser Land sozial gerecht?“ lautet der Titel der Diskussion. Für Wagenknecht ist es eine weitere Gelegenheit, das Potenzial einer möglichen Parteigründung auszuloten.

Bis wann müssten sich Wagenknecht und ihre Mitstreiter entschieden haben, eine neue Partei zu gründen? Wenn sie antreten würde, müsste eine Partei Wagenknechts bis zum 83. Tag vor der Europawahl einen Wahlvorschlag – also Listen für einzelne Länder oder eine gemeinsame Bundesliste – im Original bei der Bundeswahlleiterin einreichen. Diese Frist läuft am 18. März 2024 ab. Ein Einreichen des Wahlvorschlags auf den letzten Drücker ist nicht ratsam, da ein anschließendes denkbares Verfahren zur Behebung von Mängeln am Wahlvorschlag viel Zeit nehmen kann.

Bevor der Wahlvorschlag eingereicht wird, müsste eine neu gegründete Partei zahlreiche weitere formale Voraussetzungen erfüllen. Dafür ist erfahrungsgemäß ein weiterer Vorlauf von mindestens drei Monaten nötig. In dieser Zeit müsste eine Parteineugründung Wagenknechts, sofern sie eine Bundesliste aufstellen will, mindestens 4000 Unterstützungsunterschriften von Wahlberechtigen sammeln. Darüber hinaus müssen eine Satzung sowie ein Programm erstellt und eine Wahl der Vorstandsmitglieder in Präsenz abgehalten werden.  

Die Europawahl eignet sich für eine Abspaltung von der Linkspartei als Sprungbrett. Denn bei der Wahl am 9. Juni 2024 gilt in Deutschland keine Sperrklausel. Erst für die darauffolgende Wahl zum Straßburger Parlament 2029 soll eine Hürde von mindestens zwei Prozent gelten.

Die etablierten Parteien haben bereits feste Termine für ihre Europa-Parteitage, bei denen sie ihre Kandidatinnen und Kandidaten fürs EU-Parlament wählen wollen. So planen beispielsweise die Liberalen, ihre Spitzenfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann Ende Januar 2024 bei einem Parteitag auf den Schild zu heben.

Mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine lebt Wagenknecht im saarländischen Merzig.
Mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine lebt Wagenknecht im saarländischen Merzig.

© dpa/Britta Pedersen

Doch Wagenknecht zögert. Offenbar will sie vor einer Entscheidung über eine Parteigründung sicherstellen, dass ein solches Vorhaben tatsächlich gelingt. Zwar gibt es Umfragen, die einer Wagenknecht-Partei ein Potenzial von mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen bescheinigen. Aber vor allem in den alten Bundesländern könnte eine Neugründung ein Mobilisierungsproblem bekommen.

Dabei wäre es für Wagenknecht und ihr politisches Umfeld wohl noch das geringste Problem, 4000 Unterstützungsunterschriften für die neue Formation einzusammeln.  „Unsicher wäre dagegen, wie viel Präsenz eine solche neue Formation in der Fläche aufbieten könnte“, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. „Die neue Partei müsste schon einzelne Landesverbände – über das Saarland hinaus – bilden können, um nachhaltig Wirkung zu zeigen“, glaubt er. Das mediale Auftreten von Wagenknecht allein wäre jedenfalls nach seinen Worten „für einen größeren Erfolg nicht ausreichend“.

Eine Europawahl, die eher als Ausdruck des Protestes genutzt wird, böte ihr größere Chancen als eine Bundestagswahl.

Uwe Jun, Politikwissenschaftler

Zuletzt meldete sich Wagenknecht vor allem in der Debatte darüber zu Wort, unter welchen Bedingungen der Ukraine-Krieg beendet werden könnte. So forderte sie im „Deutschlandfunk“, dass die Ukraine jetzt in Verhandlungen mit Russland eintreten müsse.

Im vergangenen Oktober hatte die Linken-Politikerin kritisiert, dass die Ampel-Koalition „uns abklemmt von billigen Rohstoffen, von billiger Energie, ohne Alternativen zu haben“. Doch der „heiße Herbst“ blieb in Deutschland aus, genauso wie ein von Protesten von Links und Rechts getragener „Wut-Winter“.

„Das Potenzial einer solchen Formation lässt sich derzeit schwer einschätzen“, meint der Politologe Jun mit Blick auf eine mögliche Neugründung durch die ehemalige Linken-Vizechefin. Es sei ja unklar, ob Wagenknecht tatsächlich sozio-ökonomisch auf einen starken Wohlfahrtsstaat mit entsprechender Umverteilung und sozio-kulturell auf traditionelle Werte einschließlich restriktiverer Migrationspolitik setzen wolle, sagt er zur Begründung. Auch EU-Skepsis und ihre umstrittenen Positionen zum russischen Angriffskrieg gehören zu Wagenknechts politischem Angebot. In jedem Fall biete eine Europawahl, die eher als Ausdruck des Protestes genutzt wird, der Linken-Politikerin „größere Chancen als eine Bundestagswahl“, ist Jun überzeugt.

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