zum Hauptinhalt

Politik: Froschkönig vs. Aschenputtel

Von Gerd Appenzeller

Sind Medienleute manchmal dumm, blind oder Opfer von Zwangsvorstellungen? Nach dem Fernsehstreitgespräch sahen viele Angela Merkel vorne, während vier verschiedene Meinungsforschungsinstitute unabhängig voneinander beim Publikum Gerhard Schröder als Sieger des TVDuells ermittelten.

Woran liegt das? Wieso bilanzieren die von ihrer Urteilsfähigkeit so überzeugten Fachleute in Zeitungen und Rundfunkanstalten 90 Minuten Politik im Fernsehen so völlig anders als ihre Leser oder Zuschauer? Angeblich sind die meisten Journalisten links. Dennoch punktet bei ihnen Angela Merkel. Ohne Zweifel war sie weit besser als erwartet – aber eben nicht besser als der Kanzler. Wollen die Redakteure, unbewusst, politisch besonders korrekt sein und geben der Kandidatin deshalb einen Frauen-Bonus, den zu verteilen der Zuschauer am Bildschirm keinen Grund sieht? Oder ist es vielleicht, unbemerkt, der reine Opportunismus? Weil man weiß, dass Schröder, egal wie gut er im Fernsehen ist, bestimmt nicht mehr Kanzler wird. Weil man ahnt, dass Angela Merkel nach menschlichem Ermessen diese Kanzlerschaft nicht mehr zu nehmen ist. Und weil, wenn das so ist, man besser rechtzeitig den Kontakt zur Union spinnt?

Das alles mag untergründig eine Rolle spielen, aber die genaue Analyse enträtselt eben doch manches Geheimnis. Der Froschkönig Gerhard Schröder, dessen Partei so weit hinter der Union liegt, der persönlich aber immer noch vor Angela Merkel bei den Sympathiewerten führt, verwandelt sich vor den TV-Kameras. Kein Politiker kann so instinktiv sicher mit dem Fernsehen umgehen. Angela Merkel hingegen, diesmal nicht in Rosa, sondern diskret in Schwarz, kommt bescheiden wie Aschenputtel daher. Da kann der Kanzler süffisant lächeln, die Kandidatin Argument auf Argument stapeln – so schnell, dass sie sich auch Verdienste zurechnet, die sie nicht hat, wie beim Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze. Am Ende aber steht sie für das Publikum auf jenen Gebieten besser da, die auch die Redakteure für wichtig halten: Wer tut mehr für die Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Der Wähler verteilt seine Zuneigung aber weniger rational als emotional. Schröder strahlt Nähe aus, Merkel dagegen Distanz. Gerhard Schröder mag man eher vertrauen, ihm eher glauben, dass er das Soziale nicht vergisst und auch an die Schwachen denkt. Bei zwei Themenkomplexen wird das schlagartig deutlich. Angela Merkel kann ihren Steuerexperten Paul Kirchhof nicht überzeugend verteidigen, weil weder er noch sie sagen wollen, welche Subventionen gestrichen werden – man fürchtet das Schlimmste. Und der Frage nach Konsequenzen der Unwetterkatastrophe in New Orleans weicht sie ins Ungefähre aus, weil sie Angst hat, die USA zu kritisieren. Der Kanzler aber betont, wie wichtig in solchen Situationen ein handlungsfähiger Staat ist; dazu muss er Amerika gar nicht desavouieren.

Weil das alles vom Publikum eben anders als von den Journalisten empfunden wird, hat Schröder an diesem Abend im Lager der Unentschlossenen große Erfolge. Das wird wohl die eigene Partei stabilisieren und die Linkspartei Stimmen kosten, wie überhaupt die Großen, die Union und die SPD von einem solchen Abend profitieren. Ach ja, eines noch: Hoffen wir, dass das nächste TV-Duell (2009?) nicht von sechs TV-Anstalten übertragen wird. Sechs Moderatoren und zwei Kandidaten – da hätten dann nur noch die Politiker was zu lachen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false